Heiße Sonne der Verführung
alten Zorn vergeuden«, grübelte sie laut, und Ran ließ sie allein; mit jedem Zoll fühlte er sich als der Bastard, der er war, weil er sie so erbärmlich behandelte. Es war kein Wunder, dass sie zu ihrer Göttin sprach, denn er hatte keine Rechtfertigung, die er gegen ihre Anschuldigungen hätte setzen können.
Ihre Worte hallten immer und immer wieder in seinem Kopf. Dein Leben stand auf dem Spiel … Eine Bedrohung … Hätte dich als den Sohn des Paschas ausgeben können … Sie haben sich geliebt … Es ist ein Gefängnis, in das du sie hineingesperrt hast … und dennoch bleibt sie.
Ran hatte oft darüber nachgedacht, warum Sayidda in jener Nacht auf Kreta mit ihm gekommen war. Sein Vater hatte ihn dort hingeführt. Granville hatte immer gewusst, wo Sayidda sich aufhielt, hatte sie vom Pascha weggeholt und ihr ein neues Leben verschafft. Ohne ihren Sohn. Hatte sie seinen Vater angefleht, ihn ihr zurückzugeben? Hatte sie sich nach seiner Gesundheit, nach seinen Freunden erkundigt? Hatte sie gewusst, dass Anna boshaft und distanziert zu ihrem Sohn gewesen war? Zum Teufel noch mal, dachte er, ich hab’s wirklich von einem Meister gelernt.
Er trat nach der Erde, schickte einen Kieselsteinregen über den Weg und machte ein finsteres Gesicht, als er plötzlich Stimmen hörte. Als er daraufhin aufschaute, sah er in der Entfernung zwei Gestalten in der Nähe des Kochhauses. Seinen langsamen Schritt beibehaltend blinzelte er, um das Paar erkennen zu können. Zwei Frauen, entschied er und erkannte, dass eine davon seine Halbschwester war. Rachel hatte kaum jemals einen Fuß vor die Tür gesetzt, hatte man ihm erzählt, und sie war so zurückhaltend, dass sie einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit in ihrem Zimmer oder mit dem Mönch zusammen verbrachte, und zwar betend.
Die kleinere Frau, schlank und hellhäutig, ging fort; ihr mit einem Schal bedeckter Kopf war gebeugt und ihre zierlichen Füße sahen unter ihren gestreiften Röcken hervor. Rachel betrat das Kochhaus. Halbherzig wünschte er, er könnte Gefühle aufbringen für diese scheue Frau. Dann jedoch entschied er, dass es ihm viel lieber wäre, wenn ein Mann käme und sie in seine Obhut nähme. Vier Frauen in seinem Haus waren eindeutig zu viel, vor allem dann, wenn eine von ihnen Aurora war.
Ran schlenderte ohne ein bestimmtes Ziel umher und traf dabei auf Shokai, der sich in einer Höhle ein Zuhause einrichtete. Der alte Mann blieb an dem weinumrankten Eingang stehen und schaute Ran an, zuckte dann jedoch mit den Schultern und ging gebückt hinein. Ran deutete dies als eine Einladung. Die kühle Höhle, die in den Berg gehauen war, stand voll mit alten Töpfen und Kisten, ordentlich aufgereihte, ausrangierte Dinge. Kerzenstumpfe erhellten jeden Spalt. Als Ran sich hineinduckte, überkam ihn ein seltsames Gefühl. Seine Größe würde es ihm nicht erlauben, sich völlig aufzurichten. Er räusperte sich, Shokai schaute jedoch nicht von der Stelle auf, wo er neben einem Feuer auf dem Boden kniete. Ein gesprungener Topf mit kochendem Wasser stand auf einem Rost.
»Im Haus gibt es doch Platz genug, Shokai. Warum lebt Ihr hier?« Ran erkannte die Decke, die in der Ecke einen Schlafplatz bildete. Es war Sayiddas.
Shokai bereitete zwei Tassen Tee zu. »Der Himmel kann keine zwei Sonnen gebrauchen, genauso wenig wie ein Haus zwei Herren.« Er goss ein und wies dann auf die geflochtene Matte ihm gegenüber.
»Aurora wird nicht zufrieden sein.« Ran setzte sich auf den Boden.
»Mit Frauen und kleinen Männern ist es schwer, fertig zu werden, Mylord.«
Ran schnaubte, nahm die Tasse entgegen und schaute skeptisch auf den grünen Inhalt, bevor er ihn probierte. Es schmeckte leicht bitter, aber gleichzeitig auch süß. »Sie ist«, er schaute kurz weg, »verdammt wütend«, beichtete er.
Shokai kicherte wissend. »Ahhh, wenn der Drache gegen den Tiger kämpft, so werden beide verletzt.«
»Ihr habt mit ihr gesprochen?«
Shokai schüttelte den Kopf. »Alte Tauben kennen die Tränen von Schwänen nicht.«
»Habt Ihr eigentlich jemals nicht in Rätseln gesprochen?«, wollte Ran irritiert wissen.
»Alte Worte sind Weisheiten für Unwissende, Mylord.«
Ran schaute auf und verengte seine Augen. »Guter Gott.« Ran lächelte. »Ihr seid genauso direkt wie Eure Herrin!«
»Besser den Pfeil in der Brust als im Rücken, nicht wahr?«, bemerkte der alte Mann.
»Zum Teufel noch mal, ja«, bestätigte Ran mit Nachdruck. »Ich glaube, heute bin ich von einigen
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