Heiße Sonne der Verführung
meisten Fällen die Beleidigungen gar nicht wahrnahm, so war sie doch leicht verletzbar. Dies war das erste Mal seit ihrem sechzehnten Lebensjahr, dass sie es zugelassen hatte, dass irgendetwas sie über einen längeren Zeitraum hinweg unglücklich machte. Und sie lehnte es ab, mit ihm darüber zu reden.
»Keine in zwei Sommern. Und Treue macht blind.« Sie schaute vom Entfernen der Bandagen auf.
»Hast du etwas anderes erwartet?«, fragte sie. Das zynische Hochziehen ihrer Augenbrauen gefiel ihm ganz und gar nicht. Sie waren Ausgestoßene, und nichts würde die Crew dazu bringen können, sie zu akzeptieren. Shokai hatte seine Fähigkeit bewiesen, sich selbst verteidigen zu können, aber durch die Bestrafung, die der Seemann hatte erleiden müssen, war Aurora diejenige, die nicht willkommen war.
Ein Schrei dröhnte von den unteren Decks herüber und sie runzelte ihre Stirn. Sie erhob sich von ihrem Stuhl am langen Tisch, ging zur Tür hinüber und öffnete diese einen Spaltbreit. Es war ihr untersagt worden, auf dem Schiff herumzulaufen, also war Shokai zu ihr gekommen, und zwar ohne Rans Erlaubnis, da war sie sich sicher.
»Dahrein!« Sie schnappte sich den Jungen, als dieser mit einem Tablett vorbeieilte. Feindselig schaute sie auf die Instrumente, die auf dem Tuch angeordnet waren. »Wer schreit denn da in solchem Schmerz?«
»Der Bootsmannsgehilfe, Lady.« Er verneigte sich flüchtig. »Der Schiffsarzt wird ihm seinen Arm abnehmen.«
Aurora atmete tief durch. »Nein!« Sie schüttelte ihren Kopf. »Nein, das wird nichts bringen, es ist nicht der Arm, der noch immer verwundet ist, sondern es ist das Blut, das vergiftet ist!«
Dahrein starrte sie verwundert an. »Ihr kennt Euch aus mit der Heilkunst?«
»Ja.« Aurora sah zu Shokai, der schützend hinter ihr stand, und dann zu dem Jungen. Ihr Blick jagte unentschlossen den Gang hoch, dann kam erneut ein Schrei, diesmal bettelnd und flehend, und sie schritt aus der Kabine. »Führ mich zu dem Jungen, Dahrein!«
Dahrein nickte ehrfürchtig, und sie folgte ihm. Shokai lief lautlos hinter den beiden her.
»Baynes hat schreckliche Angst, mem sahib. Vielleicht könnt Ihr Eure Methode ausprobieren, bevor …«
»Nur wenn er mich darum bittet«, entgegnete sie ihm, als sie tiefer in das Herz des Schiffes schritten. Dahrein betrat die Kabine, Aurora blieb jedoch vor der Tür stehen. Der junge Mann wand sich in Todesangst auf einer niedrigen Pritsche. Sein Arm, seine Hand und seine Finger waren rot und geschwollen durch eine schwere Infektion. Auroras Krötensteinring sandte eindeutige Botschaften aus. Die Wunde war geschlossen worden, und die Naht sah aus wie die einer gut gepolsterten Couch. Das Gift war auf dem Weg zum Herzen des Jungen.
»Raus mit Euch!«, forderte der Schiffsarzt. »Wir brauchen Euresgleichen hier nicht!«
»Vielleicht braucht er mich aber.« Sie nickte in Richtung des Seemannes. Er hob seinen Kopf vom Kissen auf; seine Augen waren glasig vor Panik und einem Schmerz, dessen Intensität Aurora erzittern ließ. Er würde die Nacht nicht überleben.
»Sein Blut, es ist vergiftet.« Sie zog ihren Blick von dem jungen Mann fort. »Warum habt Ihr die Wunde zugenäht?«
Der Schiffsarzt ging um sie herum, seine Hände mit dem Blut des Seemannes befleckt, das er aus dem anderen Arm abgeleitet hatte. »Kommt bloß nicht auf die Idee, mir etwas über meinen Beruf erklären zu wollen, dreistes Frauenzimmer«, spottete er. »Habt Ihr vielleicht einen akademischen Rang? Seid Ihr in Leyden ausgebildet worden?«
»Nein«, antwortete sie ihm mit schlichter Würde. »Aber Eure Methode bringt hier nichts.«
»Der Arm muss amputiert werden, um den Mann zu heilen«, informierte der Schiffsarzt sie und drehte sich um, um einen gekrümmten, gezahnten Säbel bereitzulegen.
»Nein! Oh, heilige Mutter Gottes, nein! Nehmt mir nicht meinen Arm ab.« Baynes schrie, seine weit aufgerissenen Augen auf die Knochensäge geheftet. »Ich werde nutzlos sein. Tötet mich doch lieber sofort. Bitte. Tötet mich!«
Aurora verdrängte die möglichen Folgen und stürzte zu dem Jungen hin, kniete sich direkt neben ihn, flüsterte ihm beruhigende Worte zu und strich über seine feuchte Stirn. Der Schiffsarzt drehte sich wieder zurück. Als er sie in seinem Territorium vorfand, beugte er sich über seinen Patienten und ergriff ihren Arm. Er hatte nicht die geringste Chance, etwas zu sagen, denn sofort schlug Shokai mit einer Handkante gegen den Unterarm des Doktors. Der
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