Heißer als Feuer: Roman (German Edition)
Maler wiedererkannte, bisweilen kommentierte er auch die jeweilige Darstellung. Indes bezog er sich weder direkt auf Shay noch auf ihr Posing oder ihren Körper.
»Welche bist du?«, fragte er bei der Aufnahme einer Skulptur, die die Akademie der Bildenden Künste für eine Hauptstadt im Mittleren Westen in Auftrag gegeben hatte. Inzwischen schmückte sie den Brunnen vor der neuen Konzerthalle und zeigte die Musen.
»Die mit der Lyra.«
Die Toga bedeckte lediglich eine Brust. »Die Lyra ist gut getroffen«, meinte er mit einem knappen Nicken. Shay musste sich bremsen, sonst wäre sie ihm für seinen hämischen Kommentar glatt an die Gurgel gegangen.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als er zu dem Kontaktabzug des Gemäldes kam, das sie am Strand zeigte. Es handelte sich um eine stimmungsvolle Meeresszenerie. Das Wasser sanft gekräuselt, der Mond schwebte milchweiß und rund am nächtlichen Himmel. Die Frau war im Profil gemalt. Sie kniete im Sand, stützte sich mit ihren schlanken Armen auf ihre Fesseln und bog den Oberkörper nach hinten. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen, und das lange Haar floss ihr kaskadengleich über den Rücken. Für den Betrachter erweckte es den Eindruck, als wollte sie ihre Brüste dem Mond darbieten, der sie mit seinem sanften Licht küsste.
»Das hier ist unglaublich. Irrsinnig gut«, entfuhr es Ian. Seine leise, kehlig dunkle Stimme ließ sie erschauern. Er tippte auf das Foto. Ihr Herz setzte aus, als seine Finger den Schwung ihrer Brüste nachzeichneten, die der Pinselstrich des Künstlers perfekt eingefangen hatte. »Zauberhaft«, flüsterte Ian.
»Gefällt es dir?«, fragte sie zaghaft, ihre Kehle plötzlich eng.
»Ja, sicher«, betonte er. »Ich bewundere den Maler, der es schafft, Lichtreflexionen auf dem Wasser so hinzubekommen, dass es fast real aussieht.«
Shay japste nach Luft und unterdrückte einen wütenden Aufschrei. Er bewunderte das Bild, die Maltechnik. Das hingerissene Leuchten in seinen Augen galt dem Künstler, nicht dem Modell. Sie starrte ihn an, wütend und verletzt, aber er merkte es nicht einmal. Er drehte seelenruhig die Seite um.
»Das hier ist auch eine interessante Studie«, bemerkte er.
Shays Blick wanderte von seinem Gesicht zu der Schwarzweißfotografie. Sie lag ausgestreckt auf dem Rücken, ihre Beine angewinkelt. Hob lasziv einen Arm. Mit dem Handrücken der anderen Hand beschirmte sie ihre Augen. Der Fotograf hatte das Bild so arrangiert, dass sich ihre Körpersilhouette dunkel vor der hellen Hintergrundbeleuchtung abzeichnete.
Die Schönheit ihres Gesichtsprofils war perfekt herausgearbeitet, der schwanengleiche Hals, der Schwung ihrer Brüste mit den spitzen Knospen, jedes Detail. Die flache Mulde ihres Bauchs, wohl gerundete Hüften, endlos lange Schenkel – weich gezeichnete Linien, unscharfe Konturen, ein Spiel aus Licht und Schatten, das der Fotograf mit sicherem Geschmacksempfinden und minimalistischer Technik choreografiert hatte.
Es war eine stilvolle Darstellung der weiblichen Anatomie. Die Anonymität gab der Silhouette etwas Geheimnisvolles und suggerierte zugleich die Aussage: Jede Frau ist schön.
»Dieser Fotograf da arbeitet häufiger mit solchen Lichteffekten, nicht?«, erkundigte sich Ian.
Wen kümmerte das? Er sollte sich gefälligst für die Frau auf dem Foto interessieren und nicht für die verdammten Lichteffekte. »Ja.«
»Das dachte ich mir. Ich kenne ein paar von seinen Arbeiten. Hat er das da etwa auch gemacht?«
Das letzte Foto in dem Ordner war das aktuellste und bei weitem suggestivste. Es war für eine Parfümwerbung auf dem europäischen Markt vorgesehen. Für amerikanische Magazine und Plakatwände wäre es entschieden zu gewagt gewesen. Es handelte sich wiederum um eine Schwarzweißaufnahme, aber dieses Mal wurde Shay voll ausgeleuchtet, und das Objektiv der Kamera war direkt über ihr.
Ihre langen Haare fächerten sich in weichen Locken auf einem schwarzen Samtkissen. Ihr Gesicht von der Kamera abgewandt, ruhte das Kinn lasziv auf der Rundung ihrer Schulter. Der Fotograf hatte den Auftrag, lediglich eine Brust zu zeigen, die von einem zarten weißen Schleier verhüllt wurde. Ihre rosige Spitze schimmerte verführerisch durch den transparenten Stoff hindurch.
Gleichwohl war es ihr Gesichtsausdruck, der die Aufmerksamkeit des Betrachters anzog. Erhaben, erotisierend, entrückt. Ihre Lider waren geschlossen, die Brauen kaum merklich hochgezogen, auf ihren vollen, feucht schimmernden Lippen zeigte sich
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