Heisser Draht nach Paradiso
von seinem Familienschmuck im Schließfach. Trotzdem — es ist schon ein
seltsamer Zufall. Ihr seht Narbengesicht bei dem Baron, und hier wird er
beraubt. Freilich — weitere 149 Schließfächer wurden geknackt. Nach einer neuen
Methode mit Spezialwerkzeug. Deshalb so schnell. Die Ganoven sind Profis.
Wahrscheinlich haben sie die Stadt längst verlassen. Getrennt, mit
verschiedenen Autos. Aber wir stehen ja nicht mit leeren Händen da. Die
Beschreibung von Narbengesicht und das Schiffsbillett sind ein guter Einstieg
in die Fahndung.“
„Lugano“, Tim grinste. „Zum
Glück keine Riesenstadt. Um sich alle Gesichter anzusehen, braucht man nicht
solange wie hier.“
„Wenn ihr dort Detektiv
spielt“, sagte Glockner, „dürft ihr gar nicht erst hinfahren. Also, was
versprecht ihr mir?“
„Nichts“, sagten die vier wie
aus einem Mund.
Tim fügte hinzu. „Aber wir
versprechen, vorsichtig zu sein. Im übrigen: Was könnten wir denn ausrichten —
vier Halbwüchsige in fremder Umgebung, wo sie sich nicht auskennen und nicht
mal die Sprache beherrschen. Sie dürfen völlig beruhigt sein, Herr Glockner.“
„Bei euch nie“, meinte Gabys
Vater und verkniff sich ein Lächeln.
Pauline Angermann war
aufgestanden und trat jetzt näher.
„Sagtest du eben Lugano?“
fragte sie Tim.
Sie trug einen geblümten
Hausmantel über dem Nachthemd und Plüschpantoffeln an den schrumpligen Füßen.
Im Silberhaar steckten Lockenwickler. Sie schien immer zu lächeln — vielleicht
hatte die Natur ihren Mund so geschnitten.
„Übermorgen fahren wir hin“,
nickte der TKKG-Häuptling. „Willis Eltern haben dort ein Ferienhaus. Wir sind
schon riesig gespannt.“
Paulines Lächeln wurde breiter.
„Meine Enkeltochter Florentine lebt dort. Ist mit einem Italiener verheiratet.
Mindestens dreimal im Jahr besuche ich sie. Sie wollen, daß ich ganz zu ihnen
ziehe. Ich glaube, ich mach’s. Das Klima ist so mild. Immer Sonne und fröhliche
Menschen. Nachts ist der See von Lichtern umgürtet, und die Berge — zwischen
denen der See liegt — sind so grün, sooo grün.“
„Sogar das Wasser ist grün“,
sagte Klößchen, der schon dort gewesen war, „aber nicht wirklich, sondern weil
sich die Berge darin spiegeln.“ Ein Räuspern. „Da Sie so oft dort sind, Frau
Angermann: Kennen Sie zufällig einen lockenköpfigen Italiener mit einer Narbe
auf der linken Wange?“
Pauline lächelte. „Die meisten
Italiener haben keine Narben. An einen Narbigen entsinne ich mich nicht.“
„Wäre auch Zufall gewesen“,
meinte Klößchen.
Immerhin — er hatte seine
Pflicht getan und blickte nicht ohne Stolz in die Runde.
Während Gaby sich mit Pauline
unterhielt — über den seltsamen Weg der verlorenen Geldbörse, erwog Tim die
Möglichkeiten für sich und seine Freunde in Lugano.
Zuerst mußten sie die Baronin
Plätschlweiher ausholen. Hatte sie über den Familienschmuck geredet? Kannte sie
den Narbigen?
„Dürfen wir“, wandte sich der
TKKG-Häuptling an Pauline, „Ihre Enkeltochter in Lugano besuchen? Wäre doch
nett, wenn wir ihr Grüße überbringen von Ihnen.“
„O ja, das...“, begann die Oma.
Dann hielt sie inne. Ihr Lächeln erlosch. Tatsächlich, jetzt war die Miene
geradezu frostig.
„Ich weiß nicht recht“, fuhr
sie fort. „Meine Enkeltochter ist sehr beschäftigt. Und lebt zurückgezogen.
Fast ein bißchen menschenscheu. Ich müßte sie erst fragen, ob ihr das recht
ist.“
„Dann eben nicht“, meinte Tim
gelassen. „Aber telefonisch könnten wir ihr guten Tag sagen. Oder brechen wir
damit auch in ihre Privatsphäre ein?“
„Äh... nein, das kann ich
verantworten.“ Paulines Lächeln kehrte nicht zurück. „Da fällt mir ein: Sie ist
gar nicht zu Hause. Sie fährt nach Venedig. Ja, nach Venedig. Für sechs Wochen.
Ja, sechs Wochen.“
„Schade.“ Tim hob die Achseln.
Alle mieden Knotinger.
Jedenfalls seine unmittelbaren Kollegen, die da wußten, was er sich eingebrockt
hatte.
Überhaupt: Pauline Angermann
schien die einzige zu sein, die keinen Durchblick hatte. Sie glaubte offenbar,
das Polizeiaufgebot hier sei angerückt aufgrund ihres Anrufs.
Oder — so fragte sich Tim — hat
sie Knotinger vorhin auf den Arm genommen mit ihrer Bemerkung? Verkalkt oder
bauernschlau? Will sie uns von ihrer Enkelin fernhalten, oder ist die
tatsächlich verreist? Fernhalten — uns? Sind wir nicht vier reizende Kids, und
Gabys Liebreiz hat doch noch jeden entwaffnet.
Er blickte umher. Glockner
hörte sich
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