Heisser Draht nach Paradiso
Telefonbuch lag auch ein
Stadtplan. Gabys Zeigefinger fuhr bereits über Castagnola.
„Da! Ich habe die Straße. Die
kurvt am Berg hoch und endet als Sack. Ich nehme an, du wirst dich nicht
ausruhen. Was steht zuerst an: Klümpli? Emely von Plätschlweiher? Oder Paulines
Enkelin Florentine, falls wir nicht ganz schiefliegen mit unserem
Schlaudenken.“
Tim überlegte. „Klümpli hat
Zeit. Den haben wir ja gerade erst verabschiedet. Für die Plätschl ist der Tag
noch zu jung. Außerdem: Irgendwie fühle ich mich hingezogen zu dieser
Florentine.“
„Du kennst sie doch gar nicht“,
sagte Gaby in etwas biestigem Ton.
„Ich meine das nicht in
menschlicher Hinsicht, sondern jagd-instinktlich. Irgendwie zieht’s meinen
Ermittlungssinn in die Richtung. Vielleicht auch nur wegen des Zusammenhangs.
Florentine gehört zu Pauline und Pauline gehört zum Bankhaus.“
„Ruf doch erstmal an, ob sie da
ist.“
Tim nahm den Hörer und wählte.
Nach dem dritten Läuten wurde
abgenommen.
Eine Frauenstimme, die gar
nicht schüchtern oder menschenscheu klang, sagte: „Ecco (hier ist) garage e riparazioni di Ricardo Paccalone.“
„Signora Florentine Paccalone?“
fragte Tim.
„Si.“
„Arrivederci (Auf Wiedersehen) !“
Tim legte auf. „Das war sie.“
„Ein kurzes Gespräch.“
„Hast du ihre Stimme gehört?
Der Dame wachsen Haare auf den Zähnen. Oma Angermann hat also gleich zweimal
gelogen. Florentine ist nicht nach Venedig gereist, und sie klingt auch nicht,
als würde sie sich unter dem Teppich verkriechen, sobald ein Fremdling
auftaucht. Nun, wiederum gibt es zwei Möglichkeiten. Denn...“
Er wartete, weil Karl und
Klößchen anrückten. Sie wurden rasch informiert, dann setzte Tim seinen
Gedanken fort.
„Erste Möglichkeit: Pauline hat
geschwindelt, weil sie mit Florentine zerstritten ist, aber nicht will, daß man
das zu Hause erfährt. Zweite Möglichkeit: Da ist was Böses im Busch. Vielleicht
können wir das aufdecken. Aber es wäre bestimmt der falsche Weg, wenn ich mich
am Telefon vorstelle und mit Signora Paccalone rumsülze.“
Gaby hob den Blick. Sie konnte
über die Bucht sehen hinüber nach Castagnola.
„Irgendeins der Häuser dort
drüben. Wie kommen wir hin?“
„Wir haben Tandems“, sagte
Karl.
„Und ein Motorboot“, meinte
Klößchen. „Es liegt unten am Steg.“
„Keiner von uns“, meinte Tim,
„hat einen Boots-Führerschein.“
Sein dicker Freund lachte auf.
„Nicht nötig für den Äppelkahn. Ein Außenbordmotor mit fünf PS. Ihr wißt doch:
Meine Eltern sind nicht sportlich.“
„Ich bin fürs Tandem“, sagte
Tim. „Damit sind wir beweglicher innerhalb der Stadt. Motorbootfahren — das
können wir später. Zum Vergnügen. Zum Beispiel, wenn wir der Dame
Plätschlweiher das Paket bringen.“
Klößchen nickte. „Also gut. Ich
sag Mama, daß wir uns ein bißchen die Stadt ansehen.“
19. Überfall — für nichts
Und wieder herrschte Ruhe.
Lächelnd blickte Erna Sauerlich
der TKKG-Bande nach.
Soeben rollten die Tandems
durch die Einfahrt und dann die Straße hinunter.
Gaby saß hinten; sie drehte
sich um und winkte.
Klößchen, Schlußlicht auf dem
zweiten Tandem, hielt das nicht für nötig.
Alle vier trugen Shorts,
leichte T-Shirts und sogenannte Barfuß-Joggerschuhe — also solche, die man ohne
Strümpfe trägt.
Es würde heiß werden heute.
Schon lag der Gluthauch über dem See.
Erna ging ins Haus zurück und
beschäftigte sich in der Küche.
Das Radio war eingeschaltet.
Der Sender Mailand schickte schmalzige Musik über den Äther.
Ein bißchen sonnenbaden, dachte
Erna, dann schwimme ich, dann fahre ich zur Altstadt. Einkaufen, ja. Frisches
Obst. Gemüse. Und natürlich Teigwaren. Pasta. Ich muß meine Gäste italienisch
bekochen.
Sie verließ die Küche, trat in
den Terrassenraum und — verharrte wie angewurzelt.
Durch die weit geöffnete Tür
waren sie hereingekommen — drei Männer. Keine Gesichter. Denn alle trugen
Strumpfmasken. Ja, abgeschnittene, schwarze Wollstrümpfe, unter denen es
fürchterlich heiß sein mußte. Zwei der Verbrecher hielten Pistolen in den
Händen. Der dritte hatte die Fäuste geballt, als platzte er vor Wut. Er war
auch der Wortführer.
„Ruhig bleiben! Dann passiert
Ihnen nichts.“
Er sprach deutsch.
Erna schluckte. „Was... was
wollen Sie?“
Dumme Frage, dachte sie sofort.
Stehlen, natürlich! Aber was soll man sonst sagen.
„Nicht schreien! Wehe, Sie
schreien.“
„Ich will gar nicht
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