Heißer Schlaf
sagen.
So abrupt wie sie erloschen war, leuchtete die Sonne wieder auf, und ihr Licht blendete. Hop schloß die Augen. Am liebsten hätte er auch die Ohren geschlossen, da er nichts so sehr wünschte wie allein zu sein, aber die Rufe der Menge ließen ihm keine Ruhe. Wutgeschrei, besorgte und bekümmerte Ausrufe – »Welches Recht haben sie!« sagte einer, und die Antwort: »Wir sind doch schließlich Verräter.« (Wie philosophisch.)
»Ich habe drei Kinder! Daran denken sie wohl gar nicht!« (Du denn? dachte Hop. Zweifellos war sie Somec-Benutzerin. Es war unwahrscheinlich, daß eine Nichtschläferin an einer Verschwörung von Somec-Benutzern teilnahm. Wie oft dachte sie wohl an ihre Kinder, wenn die Droge sie jahrelang von ihnen trennte?)
Und dann rief von weitem eine Stimme: »Hop!« und aus der Nähe rief sie: »Hop, da bist du ja, ich habe dich schon überall gesucht.«
Er öffnete die Augen. Arran stand am Fuße des Baumes.
»Hallo«, sagte er dümmlich.
»Was machst du da oben, Hop? Ich konnte dich nicht finden. Ich bin schon mindestens ein Dutzendmal hier vorbeigegangen –«
»Ich habe mich wohl versteckt«, sagte Hop. Er stieß sich ab und sprang auf den Boden. Ungeschickt landete er auf allen Vieren.
»Hop«, sagte Arran, als er aufstand. »Hop, ich mußte dich finden, ich mußte mit dir sprechen – warum bist du nicht bei mir geblieben? – Aber man konnte natürlich nicht erwarten, daß du mir folgst wie ein Haustier oder wie ein Ehemann – Hop, sie haben Namenslisten an den Türen angeschlagen. Alle Kolonisten in Gruppen von zehn und hundert.«
»Und?«
»Nun, erstens bist du Bürgermeister von dreihundert, Hop.«
»Ich?« Hop lachte. »Was für ein Witz! Sie hätten keinen besseren Mann finden können.«
»Ich selbst bin Senator, und das ist genauso komisch. Glücklicherweise in deiner Gruppe. Aber Hop – es geht um den Captain!«
»Wer ist es? Kenne ich ihn?« Als ob das der Fall sein konnte.
»Es ist Jazz Worthing, Hop. Jason Harper Worthing.«
Was Hop dazu sagen sollte, wußte er nun wirklich nicht.
»Hop, er müßte doch eigentlich verrückt sein.«
»Das stimmt. Und wir müßten eigentlich noch normal sein.«
»Verstehst du denn nicht, Hop? Er ist dein Freund. Auf dem Anschlag steht, daß jeder, der eine Frage hat, sich bei ihm anmelden darf. Ich habe uns angemeldet, und wir haben nur noch fünfzehn Minuten Zeit.«
»Und warum willst du mit ihm sprechen?«
»Über uns, Hop. Wir müssen mit ihm sprechen. Er muß es für uns regeln.«
»Was regeln?«
»Daß wir unser Gedächtnis behalten, Hop! Wenn sie uns die Erinnerung an diese Wachzeit nehmen, werde ich dich nicht mehr lieben. Ich werde dich nicht einmal mehr kennen. Du bist dann nur noch der Manager von Jazz Worthing, diesem gemeinen Schwein. Und ich bin nur eine widerliche, billige kleine Nutte.«
Und plötzlich fühlte Hop sich großartig. Sie wollte sich an ihn erinnern. Er nahm Arrans Hand, und sie führte ihn zu einer Tür. Auf dem Weg fiel ihm ein, daß er Jazz wiedersehen würde – daß er ihn vor zwei Tagen zuletzt gesehen hatte – daß die Welt sich seitdem verändert hatte – und daß Jazz und er jetzt auf verschiedenen Seiten eines ziemlich hohen Zauns standen. Würden Sie Freunde sein? Waren sie es je gewesen? (Gibt es überhaupt irgend etwas, das man nicht eines Tages in Frage stellen muß?)
Es ist Ironie, daß es ausgerechnet die Wissenschaft war, die Grabräuberin aller Götter, die den schlüssigen Beweis für die Existenz der Seele erbracht hat. Es war sicherlich nicht beabsichtigt, und wenn man danach urteilt, wie verlegen die Männer des Somec-Entwicklungsteams waren, als sie anschließend den Seelen-Effekt entdeckten, hätten sie die Entdeckung überhaupt vermieden, wenn es möglich gewesen wäre. Aber Somec war anfangs dazu benutzt worden, Todkranke länger am Leben zu erhalten in der Hoffnung, daß es für ihre Leiden zu einem späteren Zeitpunkt Heilungsmöglichkeiten geben möge. Erst später wurde die gedächtnislöschende Wirkung des Somec erkannt. So kam es, daß die ersten Somec-Schläfer nach dem Erwachen wie hirnlose Pflanzen dahinvegetieren mußten. George Rines war der erste, dem es mittels neuer Techniken zur Aufzeichnung der Gedächtnisinhalte gelang, die katastrophalen Folgen ignoranter und voreiliger Somec-Anwendung zu eliminieren. Als er versuchte, die Schläfer dadurch wiederzubeleben, daß er ihnen die Bänder dritter Personen einspielte, war das Resultat unheilbare
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