Heißer Zauber einer Nacht
Morgengrauen zu krähen begann.
Georgie warf sich den Umhang über die Schultern und ging hinunter zur Küche. Dort hingen neben der Tür einige kleine Laternen. Es war ihr verboten worden, sie zu benutzen, doch sie würde ohnehin bestraft werden, wenn sie erwischt wurde, und so kam es auf einen Verstoß mehr oder weniger auch nicht mehr an.
Es war nicht das erste Mal, dass sie des Nachts draußen gewesen war, denn Papa hatte sie oftmals mitgenommen, um ihr die Sterne zu zeigen, doch zum ersten Mal war sie allein im Dunkeln unterwegs.
Es war eine völlig andere Welt ohne Papas starke Hand, die sie führte.
Sie kämpfte gegen ihre Ängste an und schlich am Stall vorbei zu dem Pfad, der zur Jagdhütte führte.
Das Haus, in dem sie wohnten, war einst eine Abtei gewesen. An der Grenze des Grundstücks stand ein altes Haus, das früher für die Gäste der Mönche reserviert gewesen war. Jetzt wurde das Haus allgemein nur die Jagdhütte genannt, obwohl dort nichts gejagt wurde - abgesehen von Kaninchen, die sich gelegentlich im Garten herumtrieben.
Georgie holte tief Luft und stapfte über den Pfad, ihre kleine Lampe warf einen schwankenden Lichtkreis auf den Boden zu ihren Füßen. Sie bewegte sich lautlos, wie Papa es sie gelehrt hatte. Es waren lustige Spiele und heimliche Abenteuer gewesen, sich an jemanden anzuschleichen, ohne gesehen oder gehört zu werden. Einen Brief mit Tinte zu schreiben, die unsichtbar war, bis man eine Kerze darunter hielt. Doch plötzlich schienen es mehr als nur Spiele gewesen zu sein.
Es war, als hätte ihr Vater sie genau für diesen Moment vorbereitet.
Vor sich entdeckte sie die Lichter des Hauses wie ein Leuchtsignal, das den Pfad erhellte.
Sie war sich nicht ganz sicher, was sie finden würde, und so schlich sie zu der Mulde bei der großen Eiche, die am Rande der Bäume stand, von denen die Jagdhütte umgeben war.
Sie blies die Kerze in der Laterne aus und kauerte sich in die Mulde, um zu beobachten.
Ihr Vater schritt auf dem oberen Absatz der kleinen Holztreppe unter dem Türsturz des Holzhauses auf und ab.
Er zog seine Taschenuhr, schaute darauf und spähte dann wieder in die Dunkelheit.
Plötzlich hörte Georgie das Rascheln von Blättern und das Knacken von Asten, die unter schnellen Schritten gebrochen wurden. Und dann eilte eine Frau aus der Dunkelheit auf ihn zu.
Ihre Kapuze war heruntergefallen, und Georgie stockte der Atem.
Die Frau war eine Schönheit.
Ihr schwarzes Haar war hoch aufgetürmt und mit etlichen Nadeln festgesteckt. Ihre Gesichtszüge waren weich und ebenmäßig.
Ihre Augen spiegelten Angst wider. Die Gefahr, deret-wegen Mama sich Sorgen gemacht hatte, schien diese geheimnisvolle Frau einzuhüllen wie einen Schleier.
»Ich habe es getan«, sagte sie atemlos. »Ich habe es getan, wie Ihr mich angewiesen habt. Ich habe die Papiere.« Sie eilte in die Arme von Georgies Vater und begann zu schluchzen. »Ich habe diese schreckliche Sache getan. O mein Gott, was wird nur aus mir werden?«
Die Dame sank gegen ihren Papa, und ihre Schultern bebten, als sie zu weinen begann.
»Beruhigt Euch, Mylady. Ihr müsst stark sein«, sagte er. »Ich bringe Euch zum Haus. Dort wird eine Kutsche warten, um Euch nach London und dann weiter in Euer neues Leben zu bringen.«
Die Lady lachte bitter auf. »Mein neues Leben! Welches Leben kann ich erwarten? Mein Mann wird wegen Verrats gehängt, und ich werde entehrt werden. Ich werde mich nirgendwo mehr sehen lassen können, gewiss nicht in der Gesellschaft.«
»Ich werde dafür sorgen, dass Eure Tapferkeit und Pflichterfüllung gegenüber dem König nicht vergessen werden.«
»Nein, meine Liebste, deine Taten in dieser Nacht werden nicht vergessen werden«, sagte ein Mann und trat aus dem Dunkel zwischen den Bäumen hervor. Er war fast so groß wie Georgies Vater und trug einen schwarzen Umhang. Georgie konnte nicht viel von seinem Gesicht sehen, nur seinen Mund, der zu einem hämischen Lächeln verzogen war.
Georgie sah entsetzt, dass er eine Pistole auf ihren Papa und die Lady gerichtet hielt.
»Ich hatte also Recht. Ihr seid es«, sagte ihr Vater.
Der Mann nickte. »Ich sehe, ich bin gerade noch rechtzeitig eingetroffen.« Er trat ein wenig näher. »Noch ein paar Minuten, und du hättest etwas Dummes getan, Mary. Zum Beispiel Escott diese Papiere gegeben, damit er seinen Vorgesetzten im Außenministerium beweisen kann, dass ich Mandeville bin.« Er streckte die Hand aus. »Gib sie mir und geh heim. Und wir
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