Heißer Zauber einer Nacht
Dunkelheit ihres Albtraums, der schnell von dem Prasseln der Flammen verzehrt wurde.
Irgendwo in der Schwärze hatte eine Pistole gekracht und Georgie geweckt. Das Bettlaken war schweißgetränkt, und sie hatte ihre Hände so fest darum verkrampft, dass ihre Knöchel weiß schimmerten.
»Georgie?«, rief Kit und sprang aus ihrem kleineren Bett, um zu ihrer Schwester zu eilen. »Hast du gehört...?«
Weitere Schüsse beendeten ihre ängstliche Frage.
Georgie setzte sich kerzengerade auf. Der Schuss, den sie gehört hatte, war kein Teil ihres Albtraums gewesen, sondern ein Vorbote dessen, was auf sie zukam.
Die Franzosen. Die Gerüchte über ihr Eintreffen hatten sich bewahrheitet.
»Zieh dich an«, wies sie ihre Schwester an. »Wir müssen hier weg. Sofort.«
Vorsichtig näherte sie sich dem Balkon ihres Zimmers.
Sie wagte sich nicht hinaus, sondern öffnete nur die Tür weit genug, um am Türpfosten vorbei zu spähen.
Die mondlose, regnerische Nacht erlaubte wenig Sicht, doch jenseits des Gasthofes entdeckte Georgie in der Ferne das rote Flackern von Fackeln, das sich durch die Straßen bewegte, und infernalische Feuer, die alles verschlangen, was die Franzosen zum Verbrennen finden konnten.
Das Chaos näherte sich mit jeder vergehenden Minute.
Verdammte Brut, dachte sie. Sie kamen von Süden, machten jede Hoffnung zunichte, an der Küste entlang nach Neapel zu entkommen.
Da waren sie aus England geflüchtet, nachdem der Arzt festgestellt hatte, dass sie keine Jungfrau mehr war, und ihr Onkel entschieden hatte, an ihrer Stelle Kit mit Lord Harris zu verheiraten, und jetzt würden sie höchstwahrscheinlich der Gnade der Franzosen ausgeliefert sein.
Besser ihrer Gnade als der von Onkel Phineas und Lord Danvers, dachte Georgie sarkastisch. Dennoch war es schade, dass Italien nicht die schöne Zuflucht bleiben konnte, die sie bei ihrer Ankunft gefunden hatten.
Immerhin hatten sie ein paar Monate des Friedens gehabt. Zum ersten Mal seit über einem Jahr hatte Georgie sich nicht gejagt und verfolgt gefühlt.
Es hatte in London begonnen, als Georgie das volle Ausmaß ihrer misslichen Lage erkannt hatte. Sie war sogar nach Bridwick House zurückgegangen, um festzustellen, ob Colin eine Nachricht über ihre Verfassung geschickt werden konnte. Doch das Haus war verriegelt gewesen, und ihr Klopfen und Rufen an der Vordertür und beim Dienstboteneingang war unbeantwortet geb li eben.
Oh, Colin , hatte sie mehr als einmal gebetet. Bitte komm und finde mich. Hol uns aus dieser Katastrophe heraus.
Aber soweit sie wusste, war er auf einem unbekannten Schiff davongesegelt, und sie würde ihn nie wiedersehen.
Ihre Gebete wurden jedoch erhört, nur in einer völlig anderen Art und Weise, wie sie jemals für möglich gehalten hatte.
Spät am Nachmittag, als Onkel Phineas und Tante Verena Vorbereitungen für Kits Hochzeit trafen, kam ein Anwalt zu Besuch, um Mrs Tafts Testament zu vollstrecken. Die gute Frau hatte den Mädchen ihren gesamten Besitz vererbt. Der Anwalt, ein kleiner, magerer Mann, rückte seine Brille auf der Nase zurecht und entschuldigte sich überschwänglich, weil er so lange gebraucht hatte, um die Gelder und Besitztümer zu ordnen, doch er hatte Probleme gehabt, einen Käufer für die Sybaris , Kapitän Tafts Schiff, zu finden.
Jetzt hatte er das Schiff endlich verkaufen können, und das Geld wartete in der Bank auf die Mädchen. Der Anwalt musste nur wissen, wie sie über ihr Erbe verfügen wollten. Es war kaum ein Vermögen, doch für Georgies und Kits Bedürfnisse mehr als genug. Mrs Tafts Testament verfügte sogar, dass Georgie das Geld für sich und Kit selbst verwalten durfte. Der Anwalt meinte jedoch, Georgie solle sich nicht damit belasten, einfach über diesen dummen Punkt des Testaments hinwegsehen und die Erbschaft in die Obhut ihres Onkels geben.
Georgie hätte dem Anwalt fast ins Gesicht gelacht. Dieses Geschenk des Himmels Onkel Phineas übergeben? Genauso gut hätte sie alles in die Themse werfen und vergessen können.
Sie dankte dem Mann für seine Bemühungen, holte Kit und packte mit ihr so viel ihrer Habe ein, wie sie tragen konnten. So verließen sie das Stadthaus der Escotts in aller Eile, mit dem ziemlich schockierten Anwalt im Schlepptau.
Als Erstes gingen sie zur Bank. Während der Bankangestellte Bargeld für die Reisekosten auszahlte und einen Scheck für eine »Mrs Bridwick« ausstellte, dachte Georgie bereits über den besten Fluchtweg nach. Wenn sie nach Schottland,
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