Heißes Geld
das beweisen.«
Es war jetzt vier Uhr morgens. Die Vögel zwitscherten, und die ersten Silberstreifen am Horizont meldeten die bevorstehende Ankunft der Sonne. Nareike war erschöpft, leergebrannt, aber er schlief nicht einen Moment, schon aus Angst nicht, sie könnte ihm davonlaufen.
Als er viel zu früh aufstand und sich rasierte, ließ er die Badezimmertüre offen, um Sabine zu bewachen. Er ging in ihr Apartment, setzte sich neben sie, merkte, daß sie sich schlafend stellte – aber er hatte keine Zeit mehr für Spielereien oder was er dafür hielt: »Hör zu, Sabine«, rüttelte er sie wach. »Du kannst dich heute leider nicht ausschlafen. Wenn ich von der Bank zurückkomme, müssen wir sofort losfahren.«
Sie nickte zerstreut.
»Ich zahle schon die Rechnung. Pack du inzwischen die Koffer.« Er betrachtete sie, aber ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Erschrocken sah er, daß ihr feiner Nacken seine Fingerabdrücke trug: »Versprichst du mir, meine Rückkehr abzuwarten, ohne eine – eine Dummheit zu begehen?«
»Keine Dummheit«, entgegnete sie mit ihrer Whiskystimme. »Das verspreche ich dir. Aber sonst gar nichts.«
Nareike erhob sich erleichtert; er konnte nicht gleichzeitig zur Kasse schreiten und seine Begleiterin bewachen. Aber wenn sie ihr Wort hielte, dann würde alles noch nach Plan verlaufen, und wenn er nach seiner Rückkehr die einskommazwo Millionen Dollar vorwiese, würde alles wieder ins rechte Lot kommen, denn Bargeld lacht.
Als er, wiederum viel zu früh, kurz nach acht Uhr das ›La Palma‹ mit dem Bordcase über der Schulter verließ, hatte Nareike bereits die Hotelrechnung bezahlt und großzügig Trinkgelder verteilt. Zuerst lief er Spießruten, als er sich durch die hohle Gasse zwang, wo sie auf beiden Seiten standen: Polizisten, Kriminalisten, Geheimdienstleute – aber Linsenbusch wurde weder geschlagen, noch gestochen, noch verhöhnt, noch getreten – und die Taggespenster verloren sich rasch im morgendlichen Schönwetterdunst.
Er schlenderte durch die Arkaden in der Art eines Gentleman, der sich von diesen schnatternden und schmatzenden Touristen in kurzen Hosen und scheckigen Hemden wohltuend abhebt. Erfreut stellte Nareike fest, daß das Straßencafe vor der Bank schon geöffnet war. Er nahm als erster Gast Platz und bestellte einen Cappuccino und lächelte über Saumweber, der ihm hier aufgelauert hatte. Es war ein langer Anlauf gewesen auf dem Parcours zum heißen Geld, aber er hatte auch das letzte und gefährlichste Hindernis mit Bravour genommen.
Einen Moment lang dachte er an Hannelore, und sein Gesicht wurde zu einer Fratze des Hasses; er überwand seinen Zorn. Ob sie nun in Kettwig hinter ihm herschnüffelte oder nicht – sie gehörte zu den Brücken, die er hinter sich abgebrochen hatte. Für ihn gäbe es kein Zurück mehr, kein Testament, keine Firma Müller & Sohn, keine Bundesrepublik, denn ab morgen ginge für ihn und für immer die Sonne in der Neuen Welt auf.
Acht Uhr 30: Auf die Sekunde pünktlich wurden die Gitter vor den Fenstern der Privatbank zurückgeschoben und der Eingang zur Schalterhalle geöffnet. Nareike sah auf die Uhr. Fünf Minuten wollte er abwarten, denn wer über ein so hohes Guthaben verfügte, geht nicht mit verdächtiger Eile an die Kasse. Er lächelte, legte noch eine Minute zu, bevor er sich erhob. Er betrachtete aufmerksam den Trubel unter den Arkaden, sah im Touristenpöbel den Amerikaner, der das Orgelkonzert wieder besucht hatte; in letzter Zeit war er ihm ziemlich oft in den Weg gelaufen, aber in einem so kleinen Kaff müßte man sich ja immer wieder begegnen.
Der Livrierte zog seine Mütze, und Linsenbusch nickte achtlos. Er betrat die Schalterhalle und sah sofort den Filialdirektor Stirnli, der ihm ein Lächeln schenkte, das er für alle Kunden bereithielt, ob sie Gelder brachten oder holten. Er trug den dunklen Anzug, den das pekuniäre Hofzeremoniell vorschreibt.
»Alles in Ordnung, mein Herr«, begrüßte er den Kunden.
»Am besten kommen Sie ins Direktionskabinett. Ich darf vorausgehen.« Höflich blieb Herr Stirnli vor der Türe stehen und öffnete sie für den Geschäftsfreund ohne Namen. »Schöner Tag heute«, sagte er. »Ich hoffe, Sie hatten ein angenehmes Wochenende.«
»Ein herrliches«, antwortete Nareike.
»Es wird sicher heiß werden heute, man muß wohl mit einem Gewitter rechnen.«
»Eine Abkühlung könnte nicht schaden«, stellte der Inhaber des Nummernkontos fest.
Der Kassier kam mit den Dollars. Er
Weitere Kostenlose Bücher