Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heißes Geld

Heißes Geld

Titel: Heißes Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
München aus dem Zug. Bevor sie in ihr Hotel ging, betrat sie das Postgebäude gegenüber dem Hauptbahnhof, reihte sich geduldig in die Schlange der Wartenden ein und verlangte am Schalter für postlagernde Sendungen ihren Brief.
    Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, als der Beamte, ausgerechnet heute, ins Leere griff; aber sie würde in ein paar Stunden noch einmal nachfragen. Es läge sicher an der Post, nicht an Horst, denn Unpünktlichkeit war nicht seine Art.
    Sie ging zu Fuß in das ›Garni‹, das bei diesem Besuch turnusmäßig an der Reihe war. Die komplizierten Sicherheitsregeln, die ihr Horst eingetrichtert hatte, verlangten einen ständigen Wechsel zwischen sieben Postämtern und sechs Hotels. Sie hatte diese umständliche Tarnung für übertrieben gehalten, bis sie erfuhr, daß ausgerechnet in der Firma ihres Mannes der Personalchef als früherer KZ-Kommandant verhaftet worden war. Es war schlimm genug, daß diese Dinge nicht zur Ruhe kamen. Horst war kein KZ-Kommandant gewesen, aber er hatte wieder einmal recht behalten.
    Das fast idyllische ›Hotel Marienbad‹ lag in einem Gartenhof, inmitten der City, ganz in der Nähe des früheren Braunen Hauses, in dem ihr Vater so viele Jahre der Bewegung geopfert hatte, bis er selbst zu ihrem Opfer geworden war. Das Quartier, in dem sie heute über Nacht bleiben wollte, war ein Geheimtipp unter Kennern.
    Der Portier begrüßte sie freundschaftlich. Formalitäten wie polizeiliche Anmeldung erübrigten sich bei ihr, da Hannelore schön öfter hier gewesen war. Erst als sie in ihrem Zimmer von einer Überraschung überrumpelt wurde, wie sie die Einsame seit Kriegsende nicht mehr erlebt hatte, konnte sie mit dem wissenden Lächeln, mit dem sie der Portier empfangen hatte, etwas anfangen:
    Auf dem Nachttisch stand ein riesiger Strauß Rosen, dunkelrote, langstielige, 50 an der Zahl. Jede stand für ein Jahr, Hannelore lächelte versonnen, denn keine war ohne Dornen.
    Zuerst war sie beglückt, dann erschrocken über Horsts Unvorsichtigkeit, und dann kam eine typisch weibliche Reaktion, und Hannelore fragte sich, warum er – wenn eine solche Aufmerksamkeit schon möglich war – er sie in all den Jahren unterlassen hatte. Aber dann wertete sie es als ein Zeichen, daß es aufwärts ginge, mit ihr und mit Horst. Der Lohn der Angst war in greifbare Nähe gerückt. Die Hochspannung der letzten Woche nach den zwei Aufgebotsveröffentlichungen im ›Bundesanzeiger‹ klang allmählich ab. Niemand hatte Hannelore der Lüge, wenn nicht gar des Betrugs, bezichtigt.
    Das Zimmer duftete nach den Rosen, betörend, verwirrend. Wenn Horst wenigstens für ein paar Minuten hier sein könnte, für einen Händedruck, für eine kleine Zärtlichkeit, auf ein gutes Gespräch – aber abgesehen von allen anderen Gründen wäre er heute noch in Kettwig vom alljährlichen Sommerfest der Firma Müller & Sohn festgehalten. Bis Dingsbach waren nur noch sechs Tage, genau gerechnet nur noch fünfeinhalb, und künftig würde Horst wohl nur noch auf ihrer Hochzeit tanzen – zudem war er Nichttänzer.
    Hannelore verließ das Hotel, lief wahllos durch die Straßen, überlegte, wie sie sich bei ihrem Mann für die Geburtstagsgabe bedanken könnte. Wie ferngelenkt betrat sie am Stachus einen eleganten Coiffeur-Salon.
    »Sie sind nicht angemeldet?« fragte eine dieser schrecklichen Blondinen.
    »Nein«, antwortete sie. »Ich bin auf der Durchreise und …«
    »Waschen und Legen?«
    »Und Färben«, setzte Hannelore spontan hinzu. Auf einmal wußte sie, wie sie sich bei ihrem Rosenkavalier revanchieren könnte.
    Ein Friseur, der aussah wie ein italienischer Tenor, begrüßte die neue Kundin devot und brachte sie durch Fragen nach Schnitt und Farbton in Verlegenheit.
    »Ach, machen Sie es doch, wie Sie es für gut finden«, erwiderte Hannelore mit einem Lächeln.
    »Sie verstehen doch sicher viel davon.«
    »Danke für Ihr Vertrauen, gnädige Frau.«
    Sie machte sich auf eine lange Prozedur gefaßt, Sie hatte Zeit. Es war ganz gut, wenn sie von ihren kleinen Ewigkeiten drei, vier Stunden ausfüllen könnte. Der Figaro brachte Illustrierte, Hannelore griff wahllos in den Stapel und las, daß es derzeit 632 Tageszeitungen in der Bundesrepublik gäbe, und daß die politisch belasteten Richter von der Regierung aufgefordert worden seien, sich wegen ihrer Vergangenheit freiwillig und vorzeitig in den Ruhestand zu begeben.
    Hannelore legte das Blatt beiseite und begann wieder

Weitere Kostenlose Bücher