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Heißes Geld

Heißes Geld

Titel: Heißes Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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er und betrat den Lift.
    Lydia hatte sein Kommen nicht gehört; sie stand in der Küche, hatte sich seine Schürze umgebunden und brutzelte ein T-Bone-Steak von beträchtlicher Größe.
    »Das reicht wohl auch für uns beide«, begrüßte der Hausherr sie lachend.
    Sie fuhr herum; sie küssten sich vertraut. Henry und Jessicas 20 Minuten jüngere Zwillingsschwester hatten von Anfang an wie der Lieblingsbruder zu seiner Vorzugsschwester gestanden, schon zu Lebzeiten seiner Frau, deren plötzlicher Tod diese distanzierte Nähe eher noch verstärkt hatte. Lydia sah Jessica ähnlich, aber doch nicht zu sehr, und das war gut so, denn sonst wäre Henry der Umgang kaum erträglich geworden.
    »Bleibst du länger in New York?« fragte er.
    »Nur ein paar Tage«, antwortete Lydia. »Ich habe eine Besprechung mit meinem Verleger, und anschließend gehe ich mit einer Ausstellung meiner Grafiken auf eine Wandertournee: London, Zürich, München und Rom sind die ersten Stationen.«
    »Gratuliere«, erwiderte Henry.
    Lydia hatte als Gebrauchsgrafikerin begonnen, sich in Paris mit Erfolg einer künstlerischen Ausbildung unterzogen und war dann an der Seine hängengeblieben, was bei diesem Wandervogel wenig besagte. Ihre Zeichnungen waren in Mode gekommen und das, obwohl sie sich wirklich sehen lassen konnten.
    »Du bist natürlich überbeschäftigt wie immer«, sagte Lydia.
    »Ich arbeite nur an einer Sache«, antwortete er. »Übrigens muß ich in den nächsten Tagen nach Europa. Vermutlich für lange Zeit.«
    »Europa ist groß«, entgegnete sie und lächelte. »Wir werden uns verfehlen.«
    »Wer veranstaltet deinen Wanderzirkus?«
    »Die Amerika-Häuser und die US-Clubs in Europa«, erwiderte Lydia.
    »Dann bist du ja zu finden«, stellte Henry fest.
    »Falls du Zeit hättest«, entgegnete sie. »Kein Vorwurf«, setzte sie in ihrer lebhaften Art hinzu: »Du weißt ja, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen.« Ihr Gesicht war von der Hitze gerötet; eine Strähne fiel ihr in die Stirn. Sie blies sie zurück, vergeblich.
    Lydia war viel selbständiger als Jessica, couragierter, gewohnt zu leben, wo sie wollte, wie sie wollte, und mit wem sie wollte. Sie hatte die gleiche Figur wie Jessica, die gleichen Augen, kurzgeschnittene, dunkle Haare, ein sprunghaftes Temperament und sehr viel Lust, die Welt herauszufordern.
    »Hast du noch diesen vorzüglichen Bordeaux?« fragte sie.
    »Speziell für dich«, erwiderte Henry.
    Lydia deckte den Tisch und teilte ihr Steak mit ihm. Es war pikant zubereitet, aber sie sah, daß er aß, ohne es zu genießen. »Keinen Appetit?« fragte sie.
    »Das Steak ist köstlich«, lobte er.
    »Warum kaust du dann so darauf herum? Probleme?« fragte sie direkt; sie ließ ihn nicht aus den Augen, als sie sich dem Tabu näherte: »Noch immer Jessica?«
    »Noch immer Jessica«, gab er ihr eine für diesen Moment nicht ganz ehrliche Antwort. Vor Jessica hatte sich der Schemen eines Mannes namens Linsenbusch gestellt, und über ihn wollte er nicht sprechen. Seine Schwägerin hatte längst erfasst, daß der Fall, an dem Henry arbeitete, sich in den Abend einmischen würde.
    New York litt unter einer Hitzewelle, doch Lydia fröstelte leicht – der alte Ärger mit dem air-conditioning: Schaltete man die Klimaanlage ab, wurde es sofort unerträglich heiß; ließ man sie durchlaufen, holte man sich unter Umständen eine Erkältung im Hochsommer. Sie traten ans Fenster, sahen auf das New Yorker Lichtermeer. Lydia war aus Boston; sie mochte die Stadt zwischen Hudson und East-River, und sie war doch jedes Mal erleichtert, wenn sie den Häuserschluchten und Menschenmassen wieder entrinnen konnte. Henry, im Mittelwesten geboren, fühlte sich in Manhattan zu Hause. Er war vertraut mit dem Dunst und Staub der Millionenstadt, nahm ihn hin wie den Körpergeruch einer Frau, die er liebte. Aber mitunter hasste er auch dieses New York mit seiner monströsen Schönheit und seiner großartigen Hässlichkeit, mit seinem Lärm und der Stille verträumter Winkel im Central Park. Henry war heimisch geworden in einer Megalopolis, zu der Schmutz, Brutalität und Slums genauso gehörten wie die Brooklyn-Bridge, die Met und das Chrysler Building. Es war eine himmlische Hölle, bedrängend, verschleißend, gefährlich und überwältigend.
    In dieser Stadt hatte er als Student gelebt, hatte nach seiner Entlassung aus dem Krieg sein Studium abgeschlossen, war er vorangekommen, hatte er geliebt und geheiratet, den Traum vom Glück und Stunden

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