Heißes Versprechen
Vorbehalten. Damen waren weder in der Gemeinschaft zugelassen, noch erachtete man es als sinnvoll, sie in irgendeiner diesbezüglichen Weise zu unterrichten.
Selbst als sie darüber aufgeklärt wurden, dass Winton Reed seiner Tochter alles beibrachte, was er selber wusste, hätten doch nur wenige Mitglieder der Vanza-Gemeinschaft eine Frau für fähig gehalten, die Komplexität dieser fremden Sprache aus den alten Büchern zu meistern.
Seit Tagen bereits arbeitete Madeline in ihrer freien Zeit an dem schmalen Band. Das Vorhaben, so schwierig es auch sein mochte, bot ihr eine willkommene Ablenkung von anderen Sorgen. Doch heute Morgen wollte sich diese Ablenkung nicht einstellen.
Häufig sah sie von der Arbeit auf und blickte auf die Uhr. Es behagte ihr nicht, dass sie die Minuten und Stunden zählte, seitdem sie Artemas Hunt eine Nachricht hatte zukommen lassen. Dennoch konnte sie nicht anders.
»Hier ist er!«, ertönte Bernice’ Stimme im Eingang. »Er ist angekommen!«
»Wer denn, um Himmels willen?« Madeline blickte auf die Tür und lauschte den Schritten ihrer Tante, die den Gang entlangeilten.
Wenig später wurde die Tür aufgerissen. Bernice schwebte triumphierend ins Zimmer und schwenkte eine weiße Karte. »Es ist ja so aufregend.«
Madeline warf einen Blick auf den Brief. »Was ist das?«
»Herrn Hunts Antwort auf deine Nachricht natürlich.«
Erleichterung durchfuhr Madeline. Sie sprang auf. »Lass mich sehen.«
Bernice reichte ihr die Karte, wie ein Magier eine Taube aus der Luft gezaubert hätte.
Madeline riss den Umschlag auf und überflog hastig den Inhalt. Zunächst glaubte sie, sie habe den Brief nicht richtig verstanden. Überrascht kehrte sie zum Anfang zurück und begann erneut zu lesen. Auch beim zweiten Mal ergab es keinen Sinn. Sie ließ den Brief sinken und blickte Bernice verwirrt an.
»Was ist, meine Liebe?«
»Ich habe Herrn Hunt eine Nachricht geschickt, dass ich die Erörterung unserer geschäftlichen Beziehung fortsetzen möchte. Und er schickt mir nun dieses ... dieses ...«
»Dieses was?« Bernice nahm Madeline den Brief aus der Hand, kramte eine Brille hervor, setzte sie sich auf die Nase und las laut vor.
»Ich bitte um die Ehre, Sie auf den Maskenball begleiten zu dürfen, der am Donnerstagabend in den Vergnügungspavillons stattfinden wird.«
Bernice pustete höchst zufrieden. »Aber meine Liebe, es handelt sich um eine Einladung.«
»So viel sehe ich auch.« Madeline entriss Bernice den Brief und starrte auf die kraftvolle, männliche Schrift. »Was in aller Welt hat er vor?«
»Also wirklich, Madeline, für eine Frau deines Alters bist du einfach viel zu misstrauisch. Was ist denn so seltsam daran, von einem ehrenhaften Gentleman zu einem Ball eingeladen zu werden?«
»Wir sprechen hier nicht von einem ehrenhaften Gentleman, sondern von Artemas Hunt. Und ich habe sehr wohl das Recht, misstrauisch zu sein.«
»Du bist überreizt, meine Liebe.« Bernice runzelte die Stirn. »Leidest du wieder unter Schlaflosigkeit? Du nimmst doch mein Elixier, nicht wahr?«
»Aber ja doch. Eine sehr wirksame Sache.« Sie hatte keinerlei Veranlassung, Bernice die Wahrheit zu sagen. Gestern Abend hatte sie das Elixier genau wie an allen anderen Abenden weggeschüttet, weil sie sich nicht traute, es einzunehmen. Das Allerletzte, was sie sich wünschte, war, des Nachts einzuschlafen. Die Träume wurden immer schlimmer.
»Nun, wenn es nicht die Schlaflosigkeit ist, die deine Nerven überanstrengt, so ist es vielleicht etwas anderes«, fuhr Bernice fort.
»Meine Reaktion auf Hunts Brief ist nicht meinen zarten Nerven zuzuschreiben. Es ist eine vollkommen vernünftige Reaktion.« Madeline schlug mit dem Brief gegen ihre Handfläche. »Denk doch nur: Ich sage dem Mann, dass ich seine Dienste zu einem bestimmten Preis in Anspruch nehmen möchte, und er schickt mir als Antwort die Einladung zu einem Maskenball. Was für eine Antwort soll das denn sein?«
»Eine höchst interessante, wenn du mich fragst. Erst recht, da sie von einem reifen, doch immer noch sehr beweglichen Gentleman stammt.«
»Nein.« Madeline musterte sie grimmig. »Ich befürchte, die Antwort ist typisch Vanza. Hunt versucht ganz bewusst, mich vor den Kopf zu stoßen. Wir müssen uns die Frage nach dem Grund stellen.«
»Ich kann mir nur eine Verfahrensweise vorstellen, um die Antwort herauszufinden, meine Liebe.«
»Und die wäre?«
»Du musst seine Einladung annehmen.«
Madeline starrte sie an. »Hast du
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