Heißkalte Sehnsucht
Zusammengehörigkeitsgefühl, diese selbstverständliche familiäre Wärme? Hatte sie sich deshalb so angestrengt, eine allgemein beliebte Erwachsene zu werden, weil sie sich als Kind so linkisch und unbeholfen gefühlt hatte?
Plötzlich spürte sie, wie jemand sie ansah. Es war Mikhail. Er schien die Augen nicht von ihr lassen zu können.
„Sie tun es schon wieder“, meinte sie lachend.
Er nickte. „Ja. Ich möchte, dass Sie mir Modell sitzen.“
„Modell sitzen? Das soll wohl ein Scherz sein.“
„Mikhail scherzt nie über seine Arbeit“, bemerkte Sydney.
Der Bildhauer war aufgestanden, und nun besah er sich Bess’ Gesicht von allen Seiten. „Wirklich faszinierend“, bemerkte er dann. „Ja, ich denke, Mahagoni wäre wahrscheinlich am besten.“
Bess starrte ihn an. Plötzlich fiel bei ihr der Groschen. „Natürlich!“ Sie schlug sich gegen die Stirn. „Stanislaski! Der Künstler! Dass ich da nicht schon längst darauf gekommen bin! Ich wusste doch, dassmir der Name irgendwie vertraut vorkam. Und selbstverständlich kenne ich auch Ihre Arbeiten. Ich war schon des Öfteren nahe daran, eines Ihrer Werke zu erwerben.“
„Gut.“ Mikhail nickte zufrieden. „Dann ist es abgemacht. Sie werden für mich Modell sitzen, und dafür dürfen Sie sich eine meiner Arbeiten aussuchen.“
„Oh Mann!“ Bess war begeistert. „Wie könnte ich ein solches Angebot ablehnen?“
„Nächste Woche.“ Mikhail hob mahnend den Finger. „Und seien Sie bitte pünktlich.“
Am anderen Ende des Tisches zuckte Rachel gerade zusammen. Eine Wehe hatte sie erfasst. Ihre Mutter beugte sich zu ihr hinüber und sah sie besorgt an.
„Wie lange?“ fragte sie.
„Sie kommen in Abständen von acht bis zehn Minuten. Noch sind sie nicht sehr stark.“
„Was ist noch nicht sehr stark?“ Zack hatte den letzten Rest des Satzes vernommen und blickte sie an. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. „Oh nein, doch nicht jetzt! Doch nicht jetzt!“
Rachel lächelte etwas gequält. „Nein, noch nicht sofort“, beruhigte sie ihn. „Du hast bestimmt noch genug Zeit für Mamas Sahnetorte.“
„Die Wehen setzen ein!“ Zack war völlig alarmiert.
„Oh verdammt!“ Nick sprang auf. „Damit habeich nicht gerechnet. Ich habe die Nummer der Hebamme zu Hause vergessen.“
„Immer mit der Ruhe, ihr zwei“, besänftigte Rachel die aufgeregten Männer. „Mama hat die Nummer. Außerdem ist es noch nicht so weit.“
„Willst du etwa warten, bis es zu spät ist?“ Auch Zack war aufgesprungen. „Kommt, lasst uns gehen!“
Rachels Proteste nützten ihr nichts. Da auch Nadia es für das Beste hielt, zurück nach Hause zu fahren, musste sie sich wohl oder übel der Mehrheit beugen.
Nun begann ein allgemeiner Aufruhr, der sich vorwiegend darum drehte, wie man am besten mit Rachel verfahren sollte. Sollte man die Ambulanz rufen oder ihr ein Taxi zum Krankenhaus bestellen? Yuri bot sich an, sie in seinem alten Pick-up hinzufahren, doch sein Vorschlag wurde sanft, aber bestimmt abgelehnt.
„Oh Gott, darauf war ich nicht vorbereitet!“ Nick raufte sich die Haare. „Meine Kamera! Ich muss meine Kamera holen! So einen Moment muss man doch dokumentieren!“
„Was brauchst du, mein Schatz? Wasser? Saft?“ Zack war außer sich vor Besorgnis.
Tatsächlich war Rachel von ihrem Getue mehr mitgenommen als durch die Wehen. Inmitten des allgemeinem Stimmengewirrs sandte sie Sydney einen bittenden Blick zu.
Sydney klatschte in die Hände. „Alle mal herhören!“ rief sie mit der befehlsgewohnten Stimme, die sie zu einer erfolgreichen Geschäftsfrau gemacht hatte. „Alex, du gehst nach oben und holst deiner Schwester ein Kissen für die Fahrt. Yuri, natürlich nehmen wir deinen Pick-up. Hol ihn schon einmal aus der Garage. Nick, Mikhail und Griffin, ihr fahrt hinüber zu Rachels und Zacks Wohnung und holt alles, was sie braucht. Wir treffen uns dann alle im Krankenhaus.“
„Und wie kommt ihr dorthin?“ wollte Mikhail wissen.
„Ich bin mit dem Auto da.“ Bess hatte das Familiendrama fasziniert beobachtet. „In mein Mercedes Coupé passen wir leicht zu dritt.“
„Sehr gut.“ Sydney war ganz in ihrem Element. „Dann los! Zack und Nadia fahren im Lastwagen mit, ich schließe mich Alex und Bess an.“
Bei Rachel hatten nun die Wehen tatsächlich eingesetzt, und sie krümmte sich bereits vor Schmerzen. Dennoch wandte sie sich kurz an Bess.
„Tut mir sehr Leid. Ich wollte Ihnen keine Umstände
Weitere Kostenlose Bücher