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Heiter weiter

Heiter weiter

Titel: Heiter weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria von Welser
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zeigt sich auch die Qualität einer Freundschaft. Hier gilt es, die oft demoralisierenden Auswirkungen des Abtritts von der beruflichen Bühne aufzufangen. Zuzuhören, zuzureden und Verständnis zu haben für das neue Leben des Freundes, der Freundin. Meist sind Freunde ja etwa im gleichen
Alter wie man selbst, also oft auch in der gleichen Situation. Das hilft.
    Gucken wir doch gemeinsam auf die seelische Verfassung des Freundes, der Freundin, die gerade nach meistens 40 Jahren aus dem gewohnten Umfeld in ihr neues Leben startet. Solange wir beruflich eingebunden sind, mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Kontakten, so lange ist ja alles gut. Aber jetzt? Wer keine Netzwerke hat, fällt tief. Ehepartner und Kinder können das alles gar nicht auffangen. Zudem mit der Angetrauten, mit dem Ehemann oder den Kindern nie alles besprochen werden kann, was einen Menschen so tief drinnen bewegt. Es ist schon seltsam, dass die Veränderung der Lebenssituation auf der einen Seite Freiheit und freie Entscheidungen mit sich bringt, sich andererseits aber die sozialen Kontakte reduzieren. Die Freiheit des Menschen, sein Schicksal zu lenken und andere für sich zu gewinnen, wird eingeschränkt. Alle Untersuchungen zu dieser Thematik bestätigen, dass sich gerade diejenigen älteren Menschen im dritten Leben am wohlsten fühlen, die über umfangreiche gesellschaftliche Verbindungen verfügen. Während der Berufstätigkeit scheinen Freundschaften für viele Menschen nicht die große, vorrangige Rolle zu spielen. Auch der Ehepartner scheint da oft wichtiger zu sein. Aber im dritten Leben werden die Freunde oft zum bedeutenden Ersatz für den Verlust des beruflichen Umfeldes. Kein Wunder, wenn dann zu diesem Zeitpunkt Freundschaften mit Gleichaltrigen für den Einzelnen wieder wie in der Jugend lebensnotwendig werden. Genau wie sich in der Jugend die Gefühlsbande zu den Eltern durch Beziehungen zur Peergroup, also zu Gleichaltrigen und Freundeskreisen,
verschoben haben. Das hat damals geholfen, erwachsen zu werden. Sich zu lösen von der elterlichen Kontrolle. Im Umgekehrten funktioniert das dann auch nach der Berufstätigkeit. Vorausgesetzt, das soziale Leben eines Menschen beschränkte sich nicht nur auf Arbeitskollegen oder auf Menschen, mit denen man ausschließlich als Ehepaar Kontakt hatte.
    Freundschaften mit Gleichaltrigen sind eine wirklich gute Alternative zur Rolle in der Ehe oder im Beruf. Besser allemal als die Beziehungen zu den eigenen Kindern. Gerade weil Freundschaft auf gegenseitiger Wahl, gegenseitigem Bedürfnis und freiwilliger geselliger Interaktion von Ebenbürtigen beruht. Das gibt jedem der Freunde das feste Gefühl, etwas wert zu sein, nützlich zu sein, geachtet zu werden um seiner selbst willen.
    Der Leipziger Soziologe Georg Simmel beschreibt den Unterschied von Liebe, Ehe und Freundschaft ganz wunderbar:
    »Das Freundschaftsideal geht auf eine absolute seelische Vertrautheit [zurück]. Dieses Eintreten des ganzen, ungeteilten Ich in das Verhältnis mag in der Freundschaft deshalb plausibler sein als in der Liebe, weil ihr die einseitige Zuspitzung auf ein Element fehlt, die die Liebe durch ihre Sinnlichkeit erfährt … unleugbar öffnet bei den meisten Menschen die geschlechtliche Liebe die Tore der Gesamtpersönlichkeit am weitesten, ja, bei nicht wenigen ist die Liebe die einzige Form, in der sie ihr ganzes Ich geben können. Besonders häufig dürfte dies bei Frauen beobachtet werden … Andererseits aber, wo das Liebesgefühl nicht expansiv genug, die übrigen Seeleninhalte nicht bildsam genug sind, kann … das Überwiegen
der erotischen Verbindungslinie … das Sich-Öffnen der jenseits des Erotischen liegenden Reservoire die Persönlichkeit unterdrücken. Die Freundschaft, der diese Heftigkeit, aber auch diese häufige Ungleichmäßigkeit der Hingabe fehlt, mag eher den ganzen Menschen mit dem ganzen Menschen verbinden, mag eher die Verschlossenheit der Seele, zwar nicht so stürmisch, aber in breiterem Umfang und längerem Nacheinander lösen … Vielleicht hat der moderne Mensch zu viel zu verbergen, um eine Freundschaft im antiken Sinne zu haben, vielleicht sind die Persönlichkeiten auch, außer in sehr jungen Jahren, zu eigenartig individualisiert, um die volle Gegenseitigkeit des Verständnisses, des bloßen Aufnehmens … zu ermöglichen. Es scheint, dass deshalb die moderne Gefühlsweise sich mehr zu differenzierten Freundschaften neigte, d. h. zu solchen, die ihr Gebiet nur an je

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