Heiter. Weiter.
es mir nicht an, doch wird mein Plan scheitern, am Freitagnachmittag in Le Puy einzulaufen und zum Schuster zu gehen. Komme ich erst am Samstagnachmittag dort an, wird der Laden schon geschlossen haben. Der Jakobusweg lässt sich nicht hundertprozentig planen, das ist das Schöne daran. Beunruhigend? Beruhigend! Pilger, lass einfach mal alles los, lass dich treiben auf dem Weg, auf deinem Weg. Lass dir und deinen Gedanken freien Lauf. Vergiss deinen Perfektionismus. Aber vergiss nicht: der Jakobusweg lässt sich nicht hundertprozentig planen.
Es regnet nicht mehr. Bin ich gestern wie in Sieben-Meilen-Stiefeln durchs Land gezogen, muss ich heute im Städtele bleiben. Auf zum Dorffest! Wegen Regen hat der Auto-Scooter die Planen und den Betrieb geschlossen - gestern am sommersonnigen Abend hüllte er sich in künstlichen Nebel. Vor dem Restaurant wird im Freien gebrutzelt, der Wirt gart Paella und Fleischspieße. Der Vater des Wirtes rührt in einem wuchtigen, uralten Topf eine örtliche Spezialität zusammen, die nur zum Fest aufgetischt wird. Im Restaurant sitze ich wenig später vor einem großen Teller dieser Hausmannskost: hervorragend. Die Bedienung und meine Rechnung sind pilgererfreulich. Hier hätte ich gestern schon essen sollen.
Ü ber Geld spricht man nicht, hier wird darüber geschrieben
Am Regenruhetag in Saint-Jodard kam keiner zum Kassieren - wohl wetter- oder festbedingt. Für meine erste Nacht zahlte ich 3,59 Euro. Der krumme Betrag kommt durch den einst in Franc festgesetzten Tarif.
Nach der Rückkehr vom ersten Camino hatte ich oft Gelegenheit, mit Interessierten über meinen langen Marsch zu reden. „Würden Sie es denn noch einmal machen?“, wurde ich oft gefragt. „Ich hoffe, dass war nicht meine letzte Wanderung nach Santiago!“, gab ich stets zur Antwort, „es ist halt eine Frage von Zeit und, leider, auch von Geld.“ „Geld? Ei, Sie brauchen doch kein Geld, sie pilgern doch.“
Für den Urlauber ist die Reise mit Anfahrtskosten verbunden. Ein Pilger benötigt weder Ticket noch Tankfüllung, ihm entstehen höchstens Kosten für die Neubesohlung seiner Schuhe. Am stärksten wird die Reisekasse belastet durch die Übernachtungskosten in Deutschland und in Frankreich. Hotels, Gasthöfe und Pensionen sind teuer, unter 30,00 Euro ist meist nichts zu finden. Auch das Schlafen in einer Jugendherberge ist nicht billig. Deshalb suchte ich mir gerne einen Campingplatz. In Deutschland berechnete man im Schnitt neun Euro, in Frankreich sechs Euro - falls jemand zum Kassieren kam. In einer Gîte in Frankreich schläft der Wanderer für circa zwölf Euro. In Spanien sind die Pilgerunterkünfte sehr preisgünstig -aber bis dahin ist es noch weit.
Heute überquere ich die atemberaubend in ihrem Bett sich rekelnde Loire nach Saint-Georges-de-Baroille. In der Gegend um Bussy-Albieux lösen sich langsam und sicher die aus Lehm gebauten Häuser und Scheunen auf. Ihr Zerfall ist sichtbar, bald wird nicht mehr viel übrig sein. Diese Bauweise hatte ich schon auf dem spanischen Jakobsweg kennen gelernt.
Auch das Café hier kommt mir spanisch vor - anders, als die bisher besuchten. Die Café-Bar „Chez Françoise“ in Arthun ist dekoriert mit Fototapete: Herbstlicher Lichtbruch im Buchenbestand. Das Motiv könnte im heimatlichen Spessart aufgenommen sein. Meine Gedanken schweifen. Ich sitze in der Lichtenau, rieche den Braten: Frischling mit Mangold. Wein vom Löwenstein. Wo bin ich eigentlich? Ich bin auf meinem Lebensweg, mittendrin. Am Ende schon am Ende? Ich bin in einer Café-Bar. Ich bin in der Fremde, auf einer Wanderung ins Unbekannte - auch in mein Inneres, mir unbekanntes Innere. Eine aufregende Reise! Urlauber zahlen viel Geld dafür, dass sie es in der Fremde wie zu Hause haben, ohne ungewohnte und anstrengende Einblicke und Erkenntnisse. Sie reisen nicht, neue Einsichten bleiben auf der Strecke. Auf der Wanderstrecke bleibt dagegen einiges hängen. Im Lokal hängt das mir angenehme Odeur von Fleischbrühe mit Céleri. „Sellerie“ bedeutet auf Französisch „Sattlerei“. Ich freue mich auf mein Abendessen in Boën.
Wir müssen auch auf dieser Seite leider noch mal übers Geld reden
„Aber die Leute geben doch den Pilgern was zum Essen. Kann man da nicht auch schlafen? Umsonst?“ Solche Erwiderungen auf meine These „Wandern nach Santiago kostet Geld“ habe ich oft gehört. Die Frager verstummten nach meiner Entgegnung „Würden Sie etwas geben? Pilger bei sich schlafen lassen?
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