Heiter. Weiter.
zahlen wollte, wurde mir klar gemacht, dass ich mich erstens nicht in einer Gaststätte befand und zweitens eingeladen war, zunächst zum Wein und dann an den Tisch. Die da saßen erholten sich nach den anstrengenden Pétanque-Runden bei Bier, Wein und Pernod. Als noch ein Mitglied hereinkam, das Deutsch sprach, war das Eis gebrochen - nicht im Glas, denn wir tranken unseren Anis selbstverständlich ohne Eis, aber verdünnt mit Wasser. Es wurde ein lustiger Abend der deutsch-französischen Freundschaft. Nur aus dem Weinbergschneckensammeln „sobald es hell wird“, und anschließender gemeinsamer Zubereitung und Verzehr, wurde es dann doch nichts. Wir waren alle „perdu“.
Geben, ohne etwas zu nehmen und nehmen, ohne etwas zu geben
Trotz der Zecherei bin ich früh in Saint-Bonnet-le-Château aufgestanden, es wird es ein langer Wandertag. Der Weg führt zunächst durch eine feuchte Hochebene mit Blüten, gelb und violett. Erfreulich. Sorgen bereiten mir meine Sohlen. Beim Anziehen der Schuhe bemerkte ich, wie stark das Profil am Schwinden ist. Habe ich eine Profil-Neurose? Wo ist meine Unbekümmertheit geblieben?
Zwischen Roggenfeld und Hecken führt ein schmaler Gang nach Apinac. Bei Boisset oder Tiranges pflanzt ein alter Mann einen Baum. Mir fällt eine Geschichte von Tolstoi ein: Ein Mann wird altersbedingt nicht mehr viele Ernten erleben. Er pflanzt dennoch einen Baum. Er hat Früchte von Bäumen gepflückt, die andere vor ihm gepflanzt hatten. Andere nach ihm werden von seinem Baum pflücken und ihm dankbar sein.
Ich bin glücklich. Weg und Wanderer sind eins geworden. Nichts kann mich mehr halten, nichts aufhalten. Was sind schon zwölf Kilometer? Was macht das aus, drei Stunden ohne Pause zu marschieren? Das ist das Leben, das ich mir gewünscht habe. Zelt auf, Zelt ab. Rucksack auf, Rucksack ab. Bergauf. Bergab.
Der Berghang wirkt wie ein von Gärtnerhand gegliederter Steingarten. Ein klares Bächlein hat sich aus dem Fels herausgemogelt. Drei, vier Stunden gehe ich bergab auf der schmalen Straße durch mediterrane Waldungen. Ich begegne sechs oder sieben Autos, zwei Motorradfahrern. Kein Abgas kommt gegen den harzigen Duft der Kiefern an. Kann die offizielle Wegführung schöner sein? Ich muss mich nicht auf Markierungen konzentrieren, lasse die Gedanken schweifen. Plötzlich warnt ein Zeichen in drei Sprachen: „Achtung Gefahr! Staudämme und Kraftwerke! Rasch ansteigendes Hochwasser möglich!“ Hier oben?
Ein halbverfallendes Gebäude - die Beschriftung lässt eine frühere Nutzung als Einrichtung der Gastronomie erkennen. Ich schimpfe. Doch um die Ecke, bald hinter der Brücke, steht das neue Haus: „Bar du Moulin“. Im Garten Hahn und Henne, Katzen, Gäste. Der Wirt lädt mich ein zum Wein.
Vor Jahren hatte ich mich irgendwo in Irland nachts in meinen Schlafsack gerollt. Morgens wurde ich von einer Frau geweckt. Ich dachte, sie wolle mich vertreiben. Sie hatte bereits ein Frühstück mit Eiern, Speck, Würstchen, Tee und Toast bereitet und bat mich ins Haus. „Warum“, fragte ich die Frau, „Sie kennen mich gar nicht.“ Sie sagte, ihr Sohn sei in Amerika auf Arbeitssuche. Sie kann für ihn nichts tun, hoffe aber, dass ihm geholfen wird. Auch ich hätte eine Mutter, die hofft, dass mir jemand hilft. Man gibt jemand, von dem man nichts zurückbekommt und man bekommt von jemandem, dem man nie etwas gegeben hatte. Wie der Mann und der Baum. Noch sieben harte Kilometer sind es bis nach Retournac.
Freude über jeden Kontakt, jedes Wort, jedes Lächeln
Retournac. Die Hitze ist groß. Mein Wasser ist verbraucht. Die Klingel funktioniert. Ein Mensch ist zu Hause und sein Herz intakt. Gerne kommt er dem Wunsch nach, mein Trinkgefäß aufzufüllen. Ich bitte lieber um Wasser, statt es literweise mitzuschleppen. Hin und wieder ergibt sich ein kleines Schwätzchen, in Deutsch oder Englisch, mit Hand und Fuß. Der Pilger ist alleine. Er freut sich über jeden Kontakt, jedes Wort, jedes Lächeln. Unterschiedlich reagieren die Kühe auf meinen Anblick, entweder sie trampeln in großer Aufregung in die äußerste Ecke der Umzäunung oder sie trotten neugierig näher, mich erwartungsvoll anblickend. Halten sie mich für den Bauern, der gekommen ist, sie zu melken, zu füttern? Die anderen haben wohl mit Männern mit gewaltigem Stab schlimme Erfahrungen gemacht - dem Viehhändler, der einst ihre Kameraden mit Stockschlägen in den Transporter trieb.
Vorey. Ein Berg von Hund, ein braunweißer
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