Held zum Verlieben
Daumen steckte im Mund und ihr fehlte ein Strumpf. Unwillkürlich beugte Jack sich zu ihr runter, hob sie hoch und kitzelte sie zärtlich mit der Nasenspitze am Hals. Der süße Babyduft, den sie ausstrahlte, war einfach betörend. Hingerissen küsste er sie zart auf die Wange.
„Guten Morgen, kleiner Spatz. Was hast du denn da im Mund?“
Sanft zog er an ihrem Daumen. Er hatte gar nicht die Absicht, ihn ihr aus dem Mund zu ziehen. Dieses unerwartete Spiel quittierte die Kleine mit hellem Kinderlachen.
Wie gebannt sah Charlie zu. Das Vertrauen, das ihre Tochter Jack entgegenbrachte, versetzte sie in Erstaunen. Ebenso wie der Kloß, der ihr plötzlich im Hals steckte. Wie anders wäre ihr Leben doch verlaufen, wenn Pete Tucker ein anständiger Mann gewesen wäre! Rachel hätte einen Vater gehabt, und sie selbst einen …
Charlie schüttelte diesen Gedanken entschlossen ab und konzentrierte sich darauf, das Frühstück zuzubereiten.
Kurz darauf kam Wade herein und die Küche war erfüllt von so viel Herzlichkeit, Lachen und Liebe, dass Jack ganz ergriffen war.
Nach dem Frühstück fuhr Wade mit dem Streifenwagen in die Stadt. Jack wollte später zusammen mit Charlie nachkommen. Der Tag war verplant: Wade musste Victor Shuler finden, Jack wollte sich um die Reparaturen an seinem Jeep kümmern und Charlie hatte mit Rachel einen Impftermin beim Arzt. Außerdem wollte sie bei dieser Gelegenheit gleich nach ihrem Knöchel schauen lassen. Eigentlich ein ganz normaler Tag. Warum nur hatte Jack dann das Gefühl, dass er kurz vor einer für ihn lebenswichtigen Entdeckung stand?
Die Schmerzen in Victor Shulers Bein kamen in Wellen und zogen bis in seinen Rücken. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Jedes Mal, wenn er zu sich kam, wurde ihm eine weitere Spritze verpasst, die ihn zurück ins Land der Träume schickte. Er wusste immer noch nicht, wo er war, er wusste nur, dass er nackt war, seine Hüfte entzündet und dass er Fieber und Schüttelfrost hatte. Die Matratze, auf der er lag, roch nach Hühnerfedern und Staub. Wenn ihm nicht so übel gewesen wäre, hätte er einen Mordshunger gehabt, denn außer Wasser hatte er seit seiner Entführung bislang nichts bekommen. In den wenigen Momenten, in denen er bei Bewusstsein war, überlegte er angestrengt, wer hinter alldem stecken könnte. Sicher, er hatte viele Feinde – wer in seiner Branche hatte die nicht –, aber ihm fiel keiner ein, der den Mut gehabt hätte, ihn derart zu misshandeln.
Jack verließ zufrieden die Werkstatt, überzeugt, dass sein Jeep in guten Händen war. Jetzt musste er sich nur in Geduld üben, denn es würde mindestens eine Woche dauern, bis alle erforderlichen Ersatzteile da waren. Für gewöhnlich würde ihn eine derartige Verzögerung ärgern, aber das Gegenteil war der Fall. Jetzt hatte er wenigstens einen Grund, um noch ein Weilchen in Call City zu bleiben.
Er sah sich suchend nach Charlies Wagen um. Da stand er. Sollte er nun gleich aufs Revier gehen, oder lieber auf Charlie und die Kleine warten, die noch beim Arzt waren? Er entschied sich für Letzteres und wollte gerade die Straße überqueren, als ein Mann seine Aufmerksamkeit erregte, der einen roten Leiterwagen hinter sich herzog. Hin und wieder blieb er stehen und durchwühlte einen der Mülleimer, die am Straßenrand standen, offenbar auf der Suche nach leeren Dosen.
Jack lächelte in sich hinein. Wie anders hier doch alles war, nicht so hektisch und laut wie in Tulsa, sondern gemütlich, ruhig. Er vermisste die Atmosphäre der Großstadt in keiner Weise. Im Gegenteil. Der Mann mit dem Leiterwagen kam näher und Jack erkannte, dass er nicht nur noch ziemlich jung war, sondern offensichtlich auch geistig und körperlich leicht behindert. Die kindliche Freude, die auf dem Gesicht des jungen Mannes geschrieben stand, sobald er eine Dose gefunden hatte, rührte Jack. Inzwischen war er nur wenige Schritte von Jack entfernt.
„Sieht aus, als hättest du einen erfolgreichen Morgen gehabt“, meinte Jack und wies auf den beladenen Wagen.
Der junge Mann starrte ihn erschrocken an und Jack bedauerte schon, dass er ihn angesprochen hatte. Er hatte ihm unbeabsichtigt Angst gemacht. Schnell versuchte er, den Fehler zu korrigieren. „Ich bin Jack Hanna“, stellte er sich vor. „Ich wohne bei Wade und Charlie Franklin. Kennst du die?“
Das Gesicht des Mannes leuchtete auf. „Rachel“, sagte er und nickte eifrig.
Jack lächelte. „Ja, und Rachel“, fügte er hinzu. „Sie hat
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