Helden des Olymp, Band 3: Das Zeichen der Athene (German Edition)
gebildet und die mittleren Bretter waren entfernt oder zerstört worden. Aber Ösen? Die konnten doch keine Balken tragen. Sondern eher …
Annabeth schaute die Wände an. Solche Ösen waren auch benutzt worden, um die zerfetzten Bildteppiche aufzuhängen.
Sie begriff, dass die Balken keine Brücke waren – sie waren eine Art Webstuhl.
Annabeth warf die brennende Fackel auf die andere Seite der Kluft. Sie glaubte nicht, dass ihr Plan funktionieren würde, aber sie zog alle Schnurspulen aus ihrem Rucksack und fing an, zwischen den Balken eine Art Katzenwiege hin und her zu weben, von Öse zu Öse, und verdoppelte und verdreifachte dabei die Schnur.
Ihre Hände bewegten sich mit rasender Geschwindigkeit. Sie dachte nicht mehr an ihre Aufgabe, sondern arbeitete einfach, bildete Schlingen, sicherte die Enden und verlängerte Stück für Stück ihr gewebtes Netz über die Grube.
Sie vergaß die Schmerzen in ihrem Bein und die brennende Barrikade hinter ihr. Sie kroch Zentimeter um Zentimeter über den Abgrund. Das Gewebe trug ihr Gewicht. Und ehe sie sich’s versah, lag die halbe Strecke hinter ihr.
Wo hatte sie das gelernt?
Das kommt von Athene, sagte sie sich. Weil meine Mutter jedes nützliche Handwerk beherrscht. Annabeth hatte Weben nie sonderlich nützlich gefunden – bis jetzt.
Sie schaute sich um. Das Feuer war kurz vor dem Erlöschen. Einige Spinnen krochen dicht an der Mauer entlang herein.
Verzweifelt webte Annabeth weiter und endlich hatte sie die andere Seite erreicht. Sie hob die Fackel und schleuderte sie auf ihre gewebte Brücke. Flammen jagten an der Schnur entlang und sogar die Balken fingen Feuer, als ob sie vorher mit Öl übergossen worden wären.
Einen Moment lang brannte die Brücke in einem klaren Muster – einer feurigen Reihe genau gleich aussehender Eulen. Hatte Annabeth die gewebt oder war es eine Art Zauber? Sie wusste es nicht, aber als die Spinnen losliefen, zerfielen die Balken und stürzten in die Grube.
Annabeth hielt den Atem an. Sie sah keinen Grund, warum die Spinnen nicht an den Mauern oder an der Decke entlang zu ihr kriechen sollten. Und wenn sie das täten, würde Annabeth rennen müssen, und sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich nicht schnell genug bewegen könnte.
Doch aus irgendeinem Grund folgten die Spinnen ihr nicht. Sie drängten sich am Rand der Kluft zusammen – eine wogende schwarze Ekeldecke. Dann liefen sie auseinander und fluteten zurück in den ausgebrannten Gang, fast, als ob Annabeth nicht mehr interessant wäre.
»Oder ich habe eine Prüfung bestanden«, sagte sie laut.
Ihre Fackel erlosch und sie hatte nur noch das Licht ihres Dolches. Ihr ging auf, dass sie ihre provisorische Krücke auf der anderen Seite des Abgrundes zurückgelassen hatte.
Sie war erschöpft und wusste nicht weiter, aber ihr Kopf war ganz klar. Ihre Panik schien mit der gewebten Brücke verbrannt zu sein.
Die Weberin, dachte sie. Ich muss in ihrer Nähe sein. Immerhin weiß ich, was mich erwartet.
Sie hüpfte auf einem Bein den nächsten Gang entlang, um ihren verletzten Fuß zu schonen.
Es war nicht mehr weit.
Nach knapp sieben Metern öffnete der Gang sich zu einer Höhle von der Größe einer Kathedrale, so majestätisch, dass Annabeth nur mit Mühe alles in sich aufnehmen konnte, was sie hier sah. Sie nahm an, dass es sich um den Raum aus Percys Traum handelte, aber es war nicht dunkel. Bronzene Pfannen mit magischem Licht, wie es die Götter auf dem Olymp benutzten, leuchteten überall an den Wänden, dazwischen hingen prachtvolle Wandteppiche. Der Steinboden war durchzogen von Rissen, wie eine Eisschicht. Die Decke war so hoch, dass sie sich in der Dunkelheit und vielen Schichten von Spinnweben verlor.
Seidenstränge, dick wie Säulen, zogen sich durch den Raum und verbanden Decke und Boden wie die Trossen einer Hängebrücke.
Spinngewebe umgaben zudem das Mittelstück des Heiligtums, das so einschüchternd war, dass Annabeth nur mit Mühe den Blick heben konnte. Über ihr ragte eine mehr als dreizehn Meter hohe Statue der Athene auf, mit leuchtender elfenbeinfarbener Haut und einem goldenen Kleid. In der Hand hielt Athene eine Statue der Nike, der geflügelten Siegesgöttin – eine Statue, die von unten winzig wirkte, aber vermutlich so groß war wie ein ausgewachsener Mensch. Athenes andere Hand ruhte auf einem Schild, so groß wie einer Reklamewand, hinter dem eine steinerne Schlange hervorlugte, als ob Athene sie beschützte.
Das Gesicht der
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