Helden des Olymp: Der Sohn des Neptun (German Edition)
weil er Chinese war. Noch nie hatte ein junger Chinese sich auf römisches Blut berufen. Eine hässliche Wahrheit – aber es lässt sich nicht leugnen. Er wurde fälschlich angeklagt und in Schimpf und Schande vertrieben.«
»Aber … wenn er nichts verbrochen hat, warum hast du mir dann gesagt, ich sollte mich seinetwegen entschuldigen?«
Die Wangen seiner Großmutter röteten sich. »Weil es besser ist, dich für etwas zu entschuldigen, was du nicht getan hast, als dafür zu sterben. Ich war nicht sicher, ob die Leute im Camp dir Vorwürfe machen würden. Ich wusste nicht, ob die Vorurteile der Römer geringer geworden waren.«
Frank schlang sein Frühstück hinunter. Er war in der Schule und auf der Straße manchmal gehänselt worden, aber nicht so sehr – und nie im Camp Jupiter. Im Camp hatte sich niemand über seine asiatische Herkunft lustig gemacht, nicht ein einziges Mal.
»Und unsere wahre Gabe«, sagte die Großmutter, »hast du endlich begriffen, was die ist?«
Die alten Geschichten seiner Mutter wirbelten Frank durch den Kopf. Er kämpfte wie ein Bienenschwarm. Er war der größte Drache von allen. Er dachte daran, wie seine Mutter im Garten neben ihm aufgetaucht war, als wäre sie aus der Mansarde hergeflogen. Und wie sie behauptet hatte, der Grizzlymama nur den Weg erklärt zu haben.
»Du kannst alles sein«, sagte Frank. »Das hat sie mir immer gesagt.«
Die Großmutter schnaubte. »Endlich geht in deinem Kopf eine trübe Birne auf. Ja, Fai Zhang. Deine Mutter wollte dir nicht einfach nur Selbstvertrauen einflößen. Sie hat dir buchstäblich die Wahrheit gesagt.«
»Aber …« Eine weitere Explosion ließ das Haus erbeben. Gips rieselte von der Decke wie Schneeflocken. Frank war so verwirrt, dass er es kaum bemerkte. »Wirklich alles?«
»In vernünftigen Grenzen«, sagte seine Großmutter. »Lebewesen. Es hilft, wenn du das Wesen gut kennst. Es hilft auch, wenn du dich in einer Auf-Leben-und-Tod-Situation befindest, wie in einem Kampf. Warum machst so ein überraschtes Gesicht, Fai? Du hast doch immer gesagt, dass du dich in deinem Körper nicht wohlfühlst. Das geht uns allen so – allen mit dem Blut von Pylos. Diese Gabe wurde nur ein einziges Mal einer sterblichen Familie geschenkt. Wir sind einzigartig unter den Halbgöttern. Poseidon muss ganz besonders großzügig gewesen sein, als er unseren Vorfahren beschenkt hat – oder besonders boshaft. Die Gabe hat sich oft als Fluch entpuppt. Deine Mutter konnte sie nicht retten …«
Draußen johlten die Ungeheuer los. Jemand brüllte: »Zhang! Zhang!«
»Du musst gehen, dummer Junge«, sagte die Großmutter. »Unsere Zeit ist zu Ende.«
»Aber – ich weiß nicht, wie ich meine Kraft einsetzen soll. Ich habe doch noch nie … ich kann nicht …«
»Du kannst«, sagte die Großmutter. »Oder du wirst nicht überleben, um dein Schicksal zu erfüllen. Mir gefällt diese Weissagung der Sieben, von der Mars mir da erzählt hat, überhaupt nicht. Sieben ist in China eine Unglückszahl – eine Geisterzahl. Aber daran können wir nichts ändern. Und jetzt geh! Morgen Abend beginnt das Fest der Fortuna. Du hast keine Zeit zu verlieren. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich werde sterben, wenn die Zeit gekommen ist, auf meine eigene Weise. Ich habe nicht vor, mich von diesen lächerlichen Ungeheuern verschlingen zu lassen. Geh!«
In der Tür drehte Frank sich um. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde durch einen Entsafter gepresst, aber er verbeugte sich feierlich. »Danke, Großmutter«, sagte er. »Ich werde dich stolz machen.«
Sie murmelte ganz leise etwas, das klang wie: »Das hast du schon«.
Er starrte sie an, sprachlos vor Überraschung, und sofort machte sie ein verärgertes Gesicht. »Glotz nicht so, Junge! Geh duschen und zieh dich an. Und kämm dir die Haare! Meine letzte Erinnerung an dich und du kommst mir mit zerzausten Haaren?«
Er strich sich die Haare glatt und verbeugte sich ein weiteres Mal.
Seine letzte Erinnerung an seine Großmutter war, dass sie aus dem Fenster starrte und sich zu überlegen schien, mit welchen entsetzlichen Verwünschungen sie die Ungeheuer überhäufen würde, wenn die in ihr Haus eindrangen.
XXXVI
Frank
Frank duschte so schnell wie überhaupt nur möglich, zog die Kleider an, die Hazel ihm herausgelegt hatte – ein olivgrünes T-Shirt und eine beige Cargohose, meinte sie das ernst? –, dann packte er Bogen und Köcher und rannte die Treppe zur Mansarde hoch.
In der Mansarde
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