Helden des Olymp: Der verschwundene Halbgott (German Edition)
Moleküle wurden gespalten wie bei einer Atomexplosion. Jason glaubte, dass er sich in Dampf aufgelöst hätte, wenn er wirklich in Fleisch und Blut zugegen gewesen wäre.
Der Käfig hätte jetzt in Schutt und Asche liegen müssen. Der Boden hätte sich auftun müssen, um das ausgebrannte Haus dem Erdboden gleichzumachen. Aber als das Leuchten verschwand, hatte der Käfig sich nicht bewegt. Auf der anderen Seite der Gitterstäbe hatte sich nichts verändert. Nur Hera sah anders aus – ein wenig gebeugter und müder.
»Manche Mächte sind sogar noch stärker als die Götter«, sagte sie. »Es ist nicht leicht, mich gefangen zu halten: Ich kann an vielen Orten zugleich sein. Aber wenn der größere Teil meines Wesens gefangen ist, dann stehe ich sozusagen mit einem Fuß in einem Fuchseisen, könnte man sagen. Ich kann nicht entkommen und bin den Augen der anderen Götter verborgen. Nur du kannst mich finden, und ich werde jeden Tag schwächer.«
»Aber warum seid Ihr hergekommen?«, fragte Jason. »Wie seid Ihr gefangen worden?«
Die Göttin seufzte. »Ich konnte nicht tatenlos herumsitzen. Dein Vater Jupiter bildet sich ein, er könnte sich von der Welt zurückziehen und dadurch unsere Feinde wieder in Schlaf lullen. Er glaubt, dass wir Olympier uns zu sehr in die Angelegenheiten der Sterblichen einmischen, in das Schicksal unserer Halbgottkinder, vor allem, seit wir nach dem Krieg versprochen haben, sie alle anzuerkennen. Er glaubt, dass unsere Feinde sich deshalb rühren. Und deshalb hat er den Olymp verschlossen.«
»Aber Ihr glaubt das nicht.«
»Nein«, sagte Hera. »Oft verstehe ich die Stimmungen oder die Entscheidungen meines Gatten nicht, aber das kam mir selbst für Zeus’ Verhältnisse paranoid vor. Ich kann nicht begreifen, warum er so überzeugt davon war und so sehr darauf bestanden hat. Es war … es sah ihm gar nicht ähnlich. Als Hera wäre ich vielleicht zufrieden damit gewesen, die Wünsche meines Gemahls zu befolgen. Aber ich bin auch Juno.« Ihr Bild flackerte und Jason sah eine Rüstung unter ihren schlichten schwarzen Gewändern und einen Umhang aus Ziegenfell – das Symbol eines römischen Kriegers – über ihrem Bronzepanzer. »Juno Moneta wurde ich einst genannt – Juno, die Warnerin. Ich war die Hüterin des Staates, die Patronin des Ewigen Rom. Ich konnte nicht tatenlos zusehen, wie die Nachkommen meines Volkes angegriffen wurden. Ich spürte Gefahr an dieser geheiligten Stätte. Eine Stimme …« Sie zögerte. »Eine Stimme rief mich hierher. Götter haben nicht so etwas wie das, was du als Gewissen bezeichnen würdest, und wir haben auch keine Träume, aber die Stimme war so wie ein Traum – sanft und beharrlich, sie wollte, dass ich herkam. Und an dem Tag, an dem Zeus den Olymp verschlossen hat, habe ich mich davongeschlichen, ohne ihn in meinen Plan einzuweihen, damit er mich nicht aufhalten konnte. Und ich bin hergekommen, um mir ein Bild von der Lage zu machen.«
»Es war eine Falle«, sagte Jason.
Die Göttin nickte. »Ich habe zu spät begriffen, wie rasch die Erde sich rührte. Ich war noch törichter als Jupiter – eine Sklavin meiner eigenen Impulse. Genauso war es auch beim ersten Mal. Ich wurde von den Riesen gefangen und meine Entführung hat einen Krieg ausgelöst. Jetzt erheben unsere Feinde sich abermals. Die Götter können sie nur mit Hilfe der größten lebenden Helden besiegen. Und die eine, der die Riesen dienen – die kann überhaupt nicht besiegt werden, sie kann nur im Schlaf gehalten werden.«
»Ich verstehe das nicht.«
»Das wirst du aber bald«, sagte Hera.
Der Käfig wurde enger, die Wurzeln schlossen sich dichter um sie. Heras Gestalt flackerte wie eine Kerzenflamme im Wind. Vor dem Käfig konnte Jason Gestalten sehen, die sich am Rand des Beckens sammelten – Humanoiden mit Buckeln und kahlen Köpfen. Wenn Jasons Augen ihm keinen Streich spielten, dann hatten sie mehr als nur zwei Arme. Er hörte auch Wölfe, aber nicht die Wölfe, die er bei Lupa gesehen hatte. Er konnte ihrem Geheul entnehmen, dass es ein anderes Rudel war – hungriger, aggressiver, blutrünstiger.
»Beeil dich, Jason«, sagte Hera. »Meine Bewacher nähern sich und du fängst an aufzuwachen. Ich werde nicht stark genug sein, um dir noch einmal zu erscheinen, nicht mal im Traum.«
»Wartet«, sagte er. »Boreas hat uns gesagt, Ihr spieltet ein gefährliches Spiel. Wie hat er das gemeint?«
Heras Augen sahen wild aus und Jason fragte sich schon, ob sie
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