Heldenklingen
bekommen.« Etwas verhakte sich an Finrees Kleid und zerriss den Stoff. Sie bewegte ihre Schulterblätter hin und her, schob sich langsam höher die Wand hinauf, folgte dem Stoff, um herauszufinden, woran er hing. Ein verrosteter Winkel. Sie rieb die losen Flocken vom Metall und spürte darunter eine scharfe Kante. Hoffnung keimte in ihr auf. Vorsichtig zog sie die Handgelenke auseinander und versuchte, den Strick genau an diese Stelle zu bringen.
»Und wenn Sie Ihre Hände frei bekommen, was dann?«, ertönte Aliz’ schrille Stimme.
»Dann befreie ich Ihre«, knurrte Finree durch die zusammengebissenen Zähne. »Und dann die Füße.«
»Und was dann? Was ist mit der Tür? Da werden doch Wachen sein, oder? Wo sind wir? Was tun wir nur, wenn … wenn …«
»Weiß ich nicht!« Finree zwang sich, wieder leiser zu sprechen. »Ich weiß es nicht. Eine Schlacht nach der anderen.« Immer noch rieb sie den Strick gegen den Winkel. »Eine Schlacht nach …« Ihre Hand rutschte weg, sie zuckte zusammen und fühlte, wie ihr das Metall einen brennenden Kratzer am Arm zufügte. »Ah!«
»Was?«
»Hab mich geschnitten. Gar nichts. Keine Sorge.«
»Keine Sorge? Wir wurden von den Nordmännern gefangen genommen! Von Wilden! Haben Sie nicht geseh…«
»Keine Sorge wegen dieses Kratzers, wollte ich sagen! Und ja, ich habe alles gesehen.« Sie musste sich einfach auf das konzentrieren, was sie selbst würde ändern können. Die Aufgabe, irgendwie die Hände frei zu bekommen, war zunächst einmal Herausforderung genug. Ihre Beine brannten von der Anstrengung, gegen die Wand gestützt dazustehen, sie spürte feuchtes Blut auf ihren Fingern und Schweiß auf dem Gesicht. Ihr Herz schlug wild, und jede Bewegung ihrer Schultern verursachte heftige Schmerzen im Nacken. Entschlossen scheuerte sie den Strick gegen das rostige Metallstück, hin und her, hin und her, und knurrte vor enttäuschter Anstrengung. »Verdammte, dreckige – ah!«
Es gab einen Ruck, dann war sie frei. Mit hastiger Bewegung riss sie sich die Binde von den Augen. Ohne das Tuch war kaum mehr zu erkennen. Schmale Lichtbalken rund um die Tür und zwischen den Latten. Rissige, feucht schimmernde Wände, dreckiges Stroh auf dem Boden. Aliz kniete ein oder zwei Schritt entfernt, das Kleid dreckverschmiert, die gefesselten Hände schlaff im Schoß.
Finree hüpfte zu ihr hinüber, da ihre Füße immer noch gebunden waren, und ging in die Knie. Sie zog Aliz die Binde weg, nahm ihre beiden Hände und drückte sie. Dann sprach sie ganz langsam und sah ihr direkt in die rosa geränderten Augen. »Wir werden fliehen. Wir müssen fliehen. Und wir schaffen das auch.« Aliz nickte, und ihr Mund verzog sich kurz zu einem verzweifelt hoffnungsvollen Lächeln. Finree sah auf ihre Handgelenke, zerrte mit tauben Fingerspitzen an den Knoten, die Zunge zwischen die Zähne gepresst, und machte sich mit ihren abgebrochenen Nägeln daran zu schaffen …
»Woher weiß er, dass ich sie habe?« Finree wurde eiskalt. Oder sogar noch kälter. Eine Stimme, die Nordisch sprach, und schwere Schritte, die sich näherten. Sie fühlte, wie Aliz in der Dunkelheit erstarrte und nicht einmal mehr atmete.
»Er hat da offensichtlich seine Methoden.«
»Seine Methoden kann er an den dunklen Orten der Welt versenken, mich interessiert das nicht.« Das war die Stimme des Riesen. Diese sanfte, langsame Stimme, in der nun aber Zorn lag. »Die Frauen gehören mir.«
»Er will nur eine.« Der andere Mann sprach in rauem Flüstern, als hätte er Kiesel in der Kehle.
»Welche?«
»Die mit den braunen Haaren.«
Ein wütendes Schnauben. »Nein. Ich hatte geplant, dass sie mir Kinder schenkt.« Finrees Augen weiteten sich. Ihr Atem blieb ihr fast im Hals stecken. Sie redeten über sie. Nun machte sie sich noch entschiedener über Aliz’ Handgelenke her und biss sich dabei auf die Lippe.
»Wie viele Kinder brauchst du denn?«, kam wieder die Reibeisenstimme.
»Zivilisierte Kinder. Nach Unionistenart.«
»Was?«
»Du hast es gehört. Zivilisierte Kinder.«
»Die mit Messer und Gabel essen und so? Ich war in Styrien. Ich war in der Union. Die Zivilisation ist nicht immer das, was man sich so vorstellt, das kannst du mir glauben.«
Kurze Stille. »Stimmt es, dass sie dort Löcher haben, in die man hineinkacken kann, und dann wird die Kacke weggespült?«
»Na und? Scheiße ist trotzdem Scheiße. Irgendwo sammelt sie sich doch.«
»Ich will die Zivilisation. Ich will zivilisierte Kinder.«
»Dann
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