Heldenklingen
wen? An die Familie? An ein Liebchen? Nein, der arme Narr hatte weder das Eine noch das Andere, der Brief ist an den König adressiert. Und so trägt man das Schreiben auf einem Samtkissen in den Thronsaal Seiner Majestät, wo es vielleicht ein winziges Tröpfchen Schuld aufwallen lassen wird. Eine einzige funkelnde Träne fällt auf die Marmorfliesen. Oh! Der arme Gorst, wie unfair wurde an ihm gehandelt! Wie ungerecht war es, dass er seine Position verlor! Nun tränkt sein Blut fremde Erde, und er starb abseits des wärmenden Lichts meiner Gunst! So, was gibt es nun zum Frühstück?
Unten an der Alten Brücke ging der dritte Angriff in die entscheidende Phase. Auf dem schmalen Steg über den zwei alten Steinbögen drängte sich eine wogende Menschenmasse. Nervöse Soldaten warteten in Reih und Glied ohne Begeisterung darauf, selbst zum Einsatz zu kommen, während die Verwundeten, Erschöpften und anderweitig nicht mehr Kampffähigen an ihnen vorüber zum Südufer transportiert wurden. Die Entschlossenheit von Mittericks Männern ließ allmählich nach, das sah Gorst an den blassen Gesichtern der Offiziere, er hörte es an ihren angespannten Stimmen und in den Schluchzern der Verwundeten. Erfolg oder Scheitern stand auf Messers Schneide.
»Wo zur Hölle bleibt der verdammte Vallimir?«, brüllte Mitterick, ohne jemand Bestimmten dabei anzusehen. »Verdammter Feigling, ich werde dafür sorgen, dass er unehrenhaft entlassen wird! Und wenn ich das persönlich veranlassen muss! Wo ist Felnigg hin? Wo … was … wer …« Seine Worte gingen in dem allgemeinen Durcheinander unter, als Gorst zum Fluss hinuntermarschierte. Seine Stimmung stieg mit jedem federnden Schritt, als ob ein großes Gewicht von seinen Schultern fiel, ein Bleistück nach dem anderen.
Ein Verwundeter stolperte an ihm vorüber, den Arm um einen Kameraden geschlungen, und drückte sich einen blutigen Lappen gegen ein Auge. Da wird wohl jemand den Bogenschützenwettbewerb im nächsten Jahr auslassen müssen! Ein anderer wurde auf einer Bahre vorübergetragen und schrie mitleiderregend bei jedem Schritt, der seinen Körper durchschüttelte; sein Beinstumpf war fest mit rotgetränkten Bandagen umwickelt. Keine Spaziergänge mehr im Park! Gorst grinste die verletzten Männer an, die stöhnend am Rand des matschigen Weges lagen und grüßte gut gelaunt. Pech gehabt, Kameraden! Das Leben ist nicht fair, nicht wahr?
Er schritt durch die lockere Menschenmenge am Ufer, gelangte dann in etwas dichteres Gewühl und schob sich schließlich mit Knüffen und Stößen weiter hindurch bis dorthin, wo die Soldaten sich so eng aneinanderdrängten, dass kaum noch Luft zum Atmen blieb, wo sich immer mehr Angst aufbaute, je enger es wurde, wo aber auch die Erregung wuchs. Die Gefühle steigerten sich. Die Männer schubsten einander, stießen mit den Ellenbogen zu, brüllten sinnlose Beleidigungen. Waffen zuckten gefährlich hin und her. Gelegentlich kamen ein paar verschossene Pfeile herunter, aber es waren schon lange keine Salven mehr, sondern schüchterne, vereinzelte Schussversuche. Kleine Aufmerksamkeiten von unseren Freunden auf der anderen Seite. Das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen!
Der Matsch unter Gorsts Füßen wich ebenem Gelände, dann ging es leicht aufwärts, und schließlich spürte er alte Steinplatten unter sich. Zwischen den verzerrten Gesichtern konnte er immer wieder kurz den Fluss und die moosbewachsene Brüstung der Brücke sehen. Aus dem allgemeinen Lärm schälte sich allmählich das metallische Krachen der Zweikämpfe heraus und wärmte sein Herz, als würde sich die Stimme einer Geliebten in einem vollen Saal über alle anderen Gespräche erheben. Wie der Duft einer Spreupfeife für einen Süchtigen. Wir haben alle unsere kleinen Laster. Unsere kleinen Besessenheiten. Suff, Weiber, Karten. Und das hier ist meine.
Taktik und Technik spielten hier keine Rolle, hier ging es nur um rohe Kraft und Wildheit, und in dieser Hinsicht konnten es die wenigsten mit Gorst aufnehmen. Er senkte den Kopf und schob sich mit derselben Gewalt durch die Menschenmasse, mit der er ein paar Tage zuvor den Wagen aus dem Dreck gezogen hatte. Er schnaufte, knurrte, zischte und arbeitete sich dabei durch die Soldaten wie ein Pflugschar durch harten Boden. Rücksichtslos stieß er mit Schild und Schultern zu, trampelte über die Toten und Verwundeten hinweg. Keine Nettigkeiten. Keine Entschuldigungen. Keine kleinlichen Befindlichkeiten.
»Aus dem Weg,
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