Heldenklingen
seine Leute sah, wie sie über das offene Gelände und in den Schein der Lampen liefen. Einer von ihnen packte die Fahnenstange zur Rechten und begann sie aus dem Boden zu drehen.
»He, Sie da!« Ein Unionssoldat, den Flachbogen ein wenig erhoben, sah ihn mit leicht verblüfftem Gesicht an. Es folgte ein Augenblick beklommenen Schweigens, und alle hielten den Atem an.
»Ah«, machte Calder.
»Scheiße«, sagte Schneebleich.
Der Soldat runzelte die Stirn. »Wer sin…« Dann hatte er einen Pfeil in der Brust. Calder hatte die Bogensehne nicht surren hören, aber er sah nun den schwarzen Schaft. Der Soldat schoss seinen Flachbogenbolzen in die Erde, stieß einen hellen Aufschrei aus und brach zusammen. Nicht weit von ihm entfernt erschreckten sich einige Pferde; eines stieß den überraschten Knecht um, der es am Zügel hielt, und warf ihn in den Dreck. Die drei Soldaten, die das Zelt hatten aufstellen wollen, fuhren gleichzeitig herum, und zwei von ihnen ließen den Stoff los, so dass er dem dritten ins Gesicht flog. Calder wurde flau im Magen.
Noch mehr Unionisten strömten mit schrecklicher Plötzlichkeit ins Licht, ein Dutzend oder mehr, und einige trugen Fackeln, deren Flammen der Wind mit jedem neuen Stoß zur Seite flackern ließ. Doch nun ertönte rechts von Calder helles Geheul, und Männer sprangen aus der Dunkelheit. Stahl blitzte auf, als die Schwerter geschwungen wurden. Schatten flackerten in der Dunkelheit, eine Waffe, oder auch ein Arm oder der Umriss eines Gesichts zeichneten sich kurz vor dem hellroten Feuerschein ab. Calder konnte kaum sagen, was geschah. Dann ging eine der Fackeln aus, und nun bekam er gar nichts mehr mit. Es klang, als ob auch zu seiner Linken nun gekämpft wurde, und er wandte den Kopf bei jedem neuen Geräusch von einer Seite zur anderen.
Beinahe wäre er in die Luft gesprungen, als er Schneebleichs Hand auf seiner Schulter fühlte. »Wir hauen am besten ab.«
Dazu brauchte es für Calder keiner weiteren Aufforderung. Wie ein Karnickel rannte er durchs Korn. Hinter sich hörte er andere Männer, die grölten, lachten und fluchten, und er hatte nicht die geringste Ahnung, ob es sich dabei um die eigenen Leute handelte oder um den Feind. Etwas sauste an ihm vorüber ins Korn. Ein Pfeil, vielleicht aber auch nur der Wind, der durchs Getreide fuhr. Die Halme griffen nach seinen Knöcheln, schlugen gegen seine Waden. Er rutschte aus und stürzte, rappelte sich dann mit Schneebleichs Hilfe, der ihm die Hand unter die Achsel schob, hastig wieder auf.
»Warte! Warte.«
Wie angenagelt stand er in der Dunkelheit da, vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt. Sein Brustkorb bewegte sich wie ein Blasebalg. Stimmengewirr drang zu ihnen herüber. Wie er zu seiner Erleichterung erkannte, sprachen diese Stimmen Nordisch.
»Folgen sie uns?«
»Wo ist Hayl?«
»Haben wir die verdammten Flaggen?«
»Diese Ärsche wussten doch gar nicht, wo vorn und wo hinten ist.«
»Tot. Hat einen Pfeil abbekommen.«
»Wir haben sie!«
»Die haben nur ihre blöden Pferde herumgejagt!«
»Dachten wohl, wir würden uns das einfach so gefallen lassen!«
»Aber das ließ Prinz Calder nicht zu.« Calder hob den Kopf, als sein Name fiel, und entdeckte, dass Schneebleich eine der Standarten trug und ihn anlächelte. Es war jene Art von Lächeln, wie ein Schmied es vielleicht zeigen mochte, wenn sein Lieblingslehrling auf dem Amboss ein Stück bearbeitete, das sich besonders gut würde verkaufen lassen.
Calder fühlte einen kleinen Stoß in seiner Seite und merkte, dass es sich um die andere Standarte handelte, deren Flagge fest um die Stange gewickelt worden war. Einer der Männer hielt sie ihm hin, und im Mondlicht leuchtete sein Grinsen breit auf dem dreckverschmierten Gesicht. Überhaupt sah Calder jede Menge grinsende Gesichter um sich herum. Als hätte er etwas Lustiges gesagt. Als hätte er etwas Tolles gemacht. Aber so fühlte es sich gar nicht an. Er hatte nur die Idee entwickelt, was ihm nicht die geringste Mühe bereitet hatte, und es dann anderen Männern überlassen, sie auszuführen und sich dafür in Gefahr zu begeben. Es erschien kaum möglich, dass Calders Vater seinen großartigen Ruf auf eine solche Weise erworben haben mochte. Aber vielleicht ging es in der Welt doch genau so zu. Manche Männer sind dafür geschaffen, gewaltig zuzuschlagen. Andere dafür, Gewalttaten zu planen. Und dann gibt es noch ein paar ganz besondere Faulsäcke, die das Talent besitzen, ohne einen
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