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Heldenklingen

Heldenklingen

Titel: Heldenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Hinter dem Bach, das wusste er, lauerten noch weitere Unionstruppen im Wald, die nur darauf warteten, seiner dünnen Linie in die Flanke zu fallen und sie in Stücke zu reißen. Aber Feinde, die Calder noch nicht einmal sah, waren gerade nicht sein dringlichstes Problem. Es waren vielmehr die Hunderte, wenn nicht Tausende schwer bewaffneter Berittener, die ihm direkt entgegenkamen und auf deren heilige Flaggen er gerade gepisst hatte, die seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Seine Augen glitten über diese Reiterflut, und immer mehr Einzelheiten traten aus der Dunkelheit, Andeutungen von Gesichtern, Schilden, Lanzen, polierten Rüstungen.
    »Pfeile?«, knurrte Weißauge, der sich zu ihm neigte.
    Calder versuchte so zu tun, als wüsste er, wie groß die Reichweite eines Bogens war, und daher wartete er noch einen Augenblick, bevor er mit den Fingern schnippte. »Pfeile.«
    Weißauge brüllte den entsprechenden Befehl, und schon hörte Calder die Bogensehnen hinter sich singen. Pfeile zischten über seinen Kopf und fielen zwischen ihnen und dem Feind ins Korn, erreichten aber auch die feindlichen Linien. War es möglich, dass kleine Stäbe aus Holz und Metall dieser so gut gerüsteten Fleischmasse überhaupt etwas würden anhaben können?
    Der Lärm der Reiter war wie ein Sturm, der ihm ins Gesicht fuhr und ihn immer weiter zurückdrängte. Sie kamen näher und wurden schneller, hielten auf Clails Mauer zu und auf die dünne Linie von Calders Männern. Die Hufe trommelten auf den erzitternden Boden, wirbelten Ähren und Stroh auf. Ein unwiderstehliches Bedürfnis zur Flucht packte ihn. Er merkte, dass er, obwohl er sich so sehr dagegenstemmte, doch zurückgewichen war. Diesen Ansturm auszuhalten, das fühlte sich an, als sähe man einer Lawine entgegen.
    Aber dann stellte er fest, dass er sich mit jedem Augenblick, der verging, weniger fürchtete, dass ihn stattdessen eine gewisse Erregung ergriff. Sein Leben lang war er diesen Situationen ausgewichen und hatte nach Ausreden gesucht. Jetzt stellte er sich, und es war gar nicht so schrecklich, wie er immer gedacht hatte. Er zeigte dem aufziehenden Morgen die Zähne. Lächelte beinahe. Lachte beinahe. Er, der Carls in die Schlacht führte. Er, der dem Tod entgegensah. Und plötzlich stand er aufrecht, streckte in einer Willkommensgeste die Arme aus und brüllte irgendetwas aus vollem Hals. Er, Calder, der Lügner, spielte den Helden. Man wusste eben nie, wer als Nächster für diese Rolle auserkoren wurde.
    Je näher die Reiter kamen, desto mehr beugten sie sich über den Hals ihrer Pferde, und sie senkten ihre Lanzen. Je schneller sie nun herangaloppierten, desto langsamer schien die Zeit zu vergehen. Calder wünschte, er hätte seinem Vater besser zugehört, wenn der über das Gelände sprach. Mit diesem entrückten Gesichtsausdruck, als ob er sich an eine längst vergangene Liebesbeziehung erinnerte. Er wünschte, er hätte gelernt, selbst so damit zu arbeiten, wie ein Bildhauer mit Stein. Aber er war stets zu sehr damit beschäftigt gewesen, anzugeben, herumzuvögeln und sich Feinde zu schaffen, die ihm bis zum Ende seines Lebens Scherereien machen würden. Und daher hatte er am gestrigen Abend, als er das Gelände studiert und festgestellt hatte, dass es ganz und gar zu seinem Nachteil war, das getan, was er am besten konnte:
    eine Falle gestellt.
    Die Reiter hatten keine Möglichkeit, die erste Grube rechtzeitig zu erkennen, nicht bei diesem dämmrigen Licht und den hohen Getreidehalmen. Es war nur ein flacher Graben, gerade mal eine Elle tief und eine Elle breit, die sich im Zickzack durch das Kornfeld zog. Aber ein paar unglückliche Hufe gerieten genau dort hinein, und die Reiter stürzten. Sie stürzten richtig schwer, verwandelten sich in ein Durcheinander aus Gliedern, verdrehten Steigbügeln, zu Bruch gehenden Waffen und fliegendem Staub. Und wo einer stürzte, da kamen hinter ihm andere zu Fall.
    Die zweite Grube war doppelt so breit und doppelt so tief. Hier stürzten noch mehr Pferde, knickten weg, als die erste Reihe hineinpflügte. Einige Reiter wurde durch die Luft geschleudert, die Lanze noch in der Hand. Die Gefechtsordnung, die sich ohnehin schon leicht aufgelöst hatte, weil alle danach dürsteten, sich in den Kampf zu stürzen, fiel nun ganz in sich zusammen. Manche Kavalleristen trieben ihre Pferde weiter voran. Andere hielten inne, als sie merkten, dass hier etwas nicht stimmte, und lösten noch mehr Verwirrung aus, während die nächste

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