Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldenklingen

Heldenklingen

Titel: Heldenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
optimistischer Natur hätte schon von Morgendämmerung sprechen können, und er war keiner. »Dann ist es jetzt wohl an der Zeit.«
    Er nahm noch einen Schluck aus der Feldflasche, gab sie Schneebleich zurück und strich sich über den Bauch und die schmerzende Blase. Dann kletterte er auf den Kistenstapel und blinzelte in den Lampenschein, so auffällig wie eine Sternschnuppe. Er sah kurz über die Schulter zu den Reihen der Männer, die hinter ihm Aufstellung genommen hatten, dunkle Gestalten vor der langen Mauer. Er verstand sie eigentlich nicht, und er mochte sie auch eigentlich nicht, und umgekehrt ging es ihnen wohl genauso, aber sie hatten eine entscheidende Gemeinsamkeit. Sie alle hatten sich im Glanz seines Vaters gesonnt. Sie alle hatte der Mann, dem sie damals dienten, groß gemacht. Sie hatten am großen Tisch in Skarlings Halle auf den Ehrenplätzen gesessen. Und als Calders Vater starb, waren sie tief gefallen. Nun sah es so aus, als seien sie alle fest entschlossen, nicht noch weiter abzurutschen, und das war beruhigend, denn ein Häuptling ohne Soldaten ist auf einem großen, blutigen Feld ein sehr einsamer Mann.
    Er war sich der vielen Augen, die ihn beobachteten, durchaus bewusst, als er die Schnüre aufzog. Den Augen von ungefähr tausend seiner Jungs, noch ein paar von Zehnwegs Leuten und zudem noch ein paar Tausend Unionsreitern, wie er hoffte, darunter auch General Mitterick, der hoffentlich vor Zorn explodieren würde.
    Nichts. Und wenn er sich entspannte, oder wenn er drückte? Verdammt typisch war das mal wieder, da hatte er sich die ganze Mühe gemacht, und nun konnte er nicht. Und dann war der Wind auch noch so kalt, sein Schwanz war an der Spitze schon ganz eisig. Der Mann, der die Flagge zu seiner Linken hielt, ein ergrauter, alter Carl mit einer großen Narbe auf der Wange, sah seinen Bemühungen mit leicht verblüfftem Gesichtsausdruck zu.
    »Kannst du vielleicht mal woanders hingucken?«, fuhr ihn Calder an.
    »Tut mir leid, Häuptling.« Der Carl räusperte sich und wandte dann beinahe schicklich den Blick ab.
    Vielleicht half es, dass man ihn Häuptling genannt hatte. Calder fühlte einen leichten Schmerz in der Blase, er grinste, ließ ihn kurz stärker werden, warf dann den Kopf zurück und sah zum zerfurchten Himmel hinauf.
    »Hah.« Pisse schoss hervor, Tropfen funkelten im Lampenschein und spritzten mit einem Geräusch, als ob es auf Gänseblümchen regnete, über die erste Flagge. Hinter Calder ging eine Welle des Gelächters durch die Reihen. Die Leute waren leicht zu begeistern, hätte man vielleicht sagen können, aber große Truppeneinheiten sind eben meist nicht für besonders komplizierte Witze zu haben. Sie lachen über alles, was mit Kacken, Pissen und Besoffenumfallen zu tun hat.
    »Und jetzt auch noch ein bisschen was für dich.« Er schickte einen gebogenen Strahl zu der anderen Flagge und grinste den Unionisten so breit entgegen, wie er nur konnte. Hinter ihm begannen die Männer im Kornfeld herumzuspringen, zu tanzen und zu grölen. Möglich, dass er kein großer Krieger oder kein guter Anführer war, aber er wusste, wie man die Männer zum Lachen brachte oder sie aufstachelte. Mit der freien Hand deutete er zum Himmel, stieß einen lauten Triumphschrei aus, schwenkte die Hüften und ließ die Pisse überall hin spritzen. »Ich würde ja auch auf sie scheißen«, brüllte er zu den Männern, »aber leider habe ich Verstopfung von Weißauges komischer Suppe!«
    »Ich scheiß auf die!«, kreischte jemand, und andere quittierten das mit schrillem Gelächter.
    »Spar dir das auf für die Unionisten, auf die kannste scheißen, wenn sie hier sind!«
    Und die Männer grölten und lachten, schwenkten ihre Waffen zum Himmel, schlugen sie gegen ihre Schilde und lärmten voller Begeisterung. Ein paar Leute waren selbst auf die Mauer gestiegen und pissten ebenfalls in Richtung der Unionstruppen. Vielleicht fanden sie es deswegen noch witziger, weil sie wussten, was auf der anderen Seite des Kornfelds lauerte und bald auf sie zukommen würde, aber Calder grinste trotzdem, als er es hörte. Wenigstens war er aufgestanden und hatte etwas getan, wovon man später in den Liedern singen konnte. Immerhin hatte er die Männer seines Vaters zum Lachen gebracht. Die Männer seines Bruders. Seine Männer.
    Bevor sie allesamt draufgehen würden.
    Beck glaubte beinahe, dass der Wind Gelächter herantrug, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es jetzt irgendwo einen Grund zum Lachen

Weitere Kostenlose Bücher