Heldenklingen
mächtigen Feuerball, der über Osrung aufstieg, so groß, dass sie sich einbildete, die Hitze auf dem eigenen Gesicht fühlen zu können. Feuerflocken flogen drum herum, lösten sich davon, Staubstreifen und Spiralen folgten ihnen in den Himmel. Es waren Teile von Gebäuden, wie sie voll Schrecken erkannte. Balken, Steinbrocken. Männer. Die Flamme verschwand und eine große Wolke aus schwarzem Staub quoll dahinter auf und ergoss sich in den Himmel wie ein umgekehrter Wasserfall.
»Hal«, murmelte sie und lief schon, bevor sie selbst es merkte.
»Finree!«, rief ihr Vater.
»Ich gehe schon.« Das war Gorsts Stimme.
Sie achtete nicht darauf, sondern rannte den Berg hinunter, so schnell Hals Mantel, dessen Schöße sich um ihre Beine schlangen, es ihr gestattete.
»Was zur Hölle …«, raunte Kropf und sah zu, wie die Rauchsäule aufstieg und vom Wind bereits in ihre Richtung getragen wurde, während das Hellrot der Feuer an ihrem Fuße flackerte und an den zerklüfteten Ruinen leckte, die einmal Gebäude gewesen waren.
»Ups«, sagte Dow. »Das war wohl Ischris Überraschung. Das kommt jetzt natürlich für alle Betroffenen zu einem ziemlich beschissenen Zeitpunkt.«
An jedem anderen Tag wäre Kropf vor Entsetzen wie gelähmt gewesen, aber heute gab es nicht mehr viel, was ihn erschüttern konnte. Ein Mann kann nur ein bestimmtes Maß an Betroffenheit empfinden, und er hatte seine Grenzen schon längst überschritten. Er schluckte und wandte sich ab von dem Baum aus Trümmern, der allmählich seine Zweige über das Tal streckte, und mühte sich hinter Dow den Berg hinauf.
»Man kann nun nicht direkt sagen, dass wir gewonnen hätten«, sagte der gerade, »aber insgesamt ist das Ergebnis nicht das schlechteste. Jetzt sollten wir aber jemanden zu Reichel schicken und ihm mitteilen, dass er Feierabend machen kann. Auch Zehnweg und Calder, wenn die no…«
»Häuptling.« Kropf hielt auf dem durchweichten Hang inne, direkt neben einem bäuchlings daliegenden toten Unionssoldaten. Ein Mann muss stets das Rechte tun. Muss zu seinem Häuptling halten, ganz gleich, was er dabei empfindet. Daran hatte er sich sein ganzes Leben lang gehalten, und man sagt, dass ein altes Pferd nicht über neue Zäune springt.
»Ja?« Dows Grinsen verblasste, als er Kropfs Gesicht sah. »Wieso die finstere Miene?«
»Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.«
DER AUGENBLICK DER WAHRHEIT
D er Sturzregen hatte endlich aufgehört, aber noch tropfte es gnadenlos von den Blättern auf die durchweichten, wundgescheuerten und unglücklichen Soldaten des Ersten Regiments Seiner Majestät hinab. Korporal Tunny war besonders durchweicht, wundgescheuert und unglücklich. Er kauerte immer noch im Gebüsch. Starrte immer noch auf dasselbe Stück Mauer, das er den ganzen heutigen und den Großteil des gestrigen Tages über angestarrt hatte. Sein Auge war wundgerieben vom Messingabschluss seines Fernrohrs, sein Hals vom dauernden Kratzen, sein Arsch und seine Achselhöhlen von den nassen Kleidern. Er hatte in seiner illustren Karriere einige beschissene Aufgaben am Hals gehabt, aber der Dienst, den er hier schieben musste, zählte zu den schlimmsten, zumal er zwei grässliche Konstanten des Militärlebens in sich vereinte – Angst und Langeweile. Eine Zeitlang war die Mauer vom strömenden Regen verschluckt worden, aber nun nahm sie wieder Gestalt an. Immer noch derselbe moosüberwachsene Steinhaufen, der sich zum Wasser hinunterneigte. Und immer noch ragten dieselben Speere dahinter auf.
»Können wir endlich etwas sehen?«, zischte Oberst Vallimir.
»Jawohl, Sir. Sie sind noch da.«
»Geben Sie mir das Ding!« Vallimir schnappte sich das Fernrohr, spähte zur Mauer hinüber und ließ es dann schlecht gelaunt wieder sinken. »Verdammt noch eins!« Tunny empfand tatsächlich ein wenig Mitleid. So viel, wie er überhaupt für einen Offizier empfinden konnte. Wenn Vallimir den Angriff befahl, dann widersetzte er sich dem Wortlaut von Mittericks Befehl. Wenn er es nicht tat, widersetzte er sich seinem Inhalt. Egal, was er tat, die Chance, dass er später dafür zur Rechenschaft gezogen wurde, war groß. Es waren Situationen wie diese, die Tunny schon früh zu der Überzeugung gebracht hatten, dass es klug war, die Karriereleiter niemals höher hinaufzuklettern als bis zum Rang eines Korporals.
»Wir greifen trotzdem an!«, zischte Vallimir, dessen Sehnsucht nach Ruhm offenbar gerade die Oberhand gewonnen hatte. »Lassen Sie die Männer
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