Heldenklingen
Majestät wieder ein, strich die Falten mit dem Daumen glatt und widmete sich seiner Aufgabe mit derselben Sorgfalt, mit der eine Frau ihr Hochzeitstuch nach dem großen Tag in den Schrank zurücklegt.
»Heute haben Sie die Standarte ja wirklich mit unglaublichem Schwung vorangetragen, Korporal!« Forest stand ein paar Schritt von ihm entfernt, hatte einen Fuß auf die Mauer gestützt und grinste über das ganze vernarbte Gesicht. »An vorderster Front, den Männern voraus, immer dorthin, wo die meiste Gefahr und der größte Ruhm lauerten! Vorwärts, rief der tapfere Korporal Tunny und bewies seinen Mut im Angesicht des Feindes! Ich meine, wie sich dann herausstellte, war ja gar kein Feind da, aber trotzdem. Ich hatte von vornherein das Gefühl, dass Sie durchkommen würden. Denn das tun Sie ja schließlich immer. Sie können gar nicht anders, oder? Korporal Tunny, der große Held des Ersten Regiments!«
»Sie können mich mal, Forest.«
Tunny schob die Standarte sorgfältig wieder in ihre Umhüllung und blickte dabei über das flache Land im Norden und Osten, wo die letzten Nordmänner über die sonnenbeschienenen Felder eilten.
Glück. Manche Männer haben einfach Glück, andere eben nicht. Calder, der hinter seinen Männern durch das Kornfeld lief – erschöpft und verdreckt, aber immerhin sehr lebendig – , kam zu dem Schluss, dass er zu denen gehörte, die Glück hatten. Bei den Toten, und wie.
Es war irres Glück gewesen, dass Mitterick so verrückt gewesen war, den Angriff zu befehlen, ohne sich vorher des Geländes zu vergewissern oder auf den Morgen zu warten, und so seine Kavallerie in den Untergang geführt hatte. Und es war ein beinahe unmögliches Glück gewesen, dass ihnen ausgerechnet Brodd Zehnweg zu Hilfe gekommen war. Calders ärgster Feind hatte ihm im letzten Augenblick das Leben gerettet. Selbst der Regen war auf seiner Seite gewesen und hatte genau zur rechten Zeit eingesetzt, um die Formation der Unionsinfanterie aufzubrechen und ihr Traumgelände in einen schlammigen Albtraum zu verwandeln.
Selbst da hätten ihn die Männer oben im Wald noch völlig aufreiben können, aber die hatten sich in die Irre führen lassen von den Speeren toter Männer, einer Vogelscheuche und ein paar Jungs, die eine Handvoll Münzen dafür bekommen hatten, dass sie sich Helme aufsetzten, die ihnen ein paar Nummern zu groß waren, und damit gelegentlich über die Mauer guckten. Lass dir etwas einfallen, hatte Dow gesagt, und Prinz Calder war etwas eingefallen.
Wenn er darüber nachdachte, wie viel Glück er heute gehabt hatte, wurde ihm beinahe schwindlig. Es war, als sei er zu etwas Besonderem auserwählt. Wie sonst war es möglich, dass er immer wieder mit dem Leben davongekommen war? Er, Calder, der das im Grunde so wenig verdiente?
Durch die Felder vor ihnen zog sich ein alter Graben, hinter dem sich eine niedrige Hecke erhob. Eine Begrenzung, die sein Vater beim Einebnen der Felder wohl übersehen hatte, und genau der richtige Ort, um sich neu zu formieren. Das war wieder ein kleines bisschen Glück. Er wünschte, Scale hätte das noch erleben können. Um ihn zu umarmen, ihm auf die Schulter zu klopfen und ihm zu sagen, dass er jetzt doch endlich stolz auf ihn war. Calder hatte gekämpft, und zur allergrößten Überraschung hatte er auch gewonnen. Er lachte, als er über den Graben sprang und sich durch eine Lücke in der Hecke zwängte – und blieb dann wie angewurzelt stehen.
Ein paar seiner Jungs waren hier versammelt. Die meisten saßen oder lagen sogar da und hatten ihre Waffen weggeworfen; sie waren offensichtlich von den harten Kämpfen an diesem Tag und von dem Lauf über die Felder völlig erschöpft. Schneebleich war bei ihnen, aber sie waren nicht allein. Gut zwanzig von Dows Carls bildeten etwas weiter entfernt einen bedrohlichen Halbkreis. Es waren finster aussehende Drecksäcke, und der größte Drecksack, der in der Mitte stand, war Espe, der sein eines Auge fest auf Calder gerichtet hatte.
Es gab keinen Grund, weshalb sie hätten hier sein sollen. Es sei denn, Curnden Kropf hatte seinen Worten Taten folgen lassen und dem Schwarzen Dow die Wahrheit erzählt. Nun war Curnden Kropf auch ein Mann, der in dem Ruf stand, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Calder fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Plötzlich erschien es ihm ziemlich blöd, in dieser Sache auf sein Glück vertraut zu haben. Offenbar war er ein so guter Lügner, dass er sich selbst erfolgreich etwas vorgemacht
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