Heldenklingen
die Männer um Hilfe bettelten, die sie ihnen nicht geben konnte. Die ihnen niemand geben konnte. Rote Flecken drangen durch die neuen Verbände, noch bevor sie fertig angelegt waren, wurden schnell größer, und sie unterdrückte die Tränen, kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit und wandte sich dem nächsten Mann zu, dem der linke Arm oberhalb des Ellenbogens abgeschlagen worden war und dessen linke Gesichtshälfte von Verbänden bedeckt war, und …
»Finree.«
Sie sah auf und erkannte zu ihrem größten Entsetzen, dass sie Oberst Brint vor sich hatte. Sie sahen sich an. Finree kam es vor wie eine Ewigkeit, in schrecklichem Schweigen an diesem schrecklichen Ort.
»Ich wusste nicht …« Es gab so vieles, was sie nicht wusste, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie den Satz beenden sollte .
»Gestern«, sagte er schlicht.
»Geht es …« Um ein Haar hätte sie ihn gefragt, ob es ihm gut ging, aber sie unterbrach sich noch rechtzeitig. Die Antwort war fürchterlich offensichtlich. »Brauchen Sie … «
»Haben Sie etwas gehört? Von Aliz?« Der Name allein genügte, damit sich ihre Innereien noch mehr verkrampften. Sie schüttelte den Kopf. »Sie waren doch mit ihr zusammen. Wo hat man Sie festgehalten?«
»Ich weiß es nicht. Mir waren die Augen verbunden. Später haben sie mich weggebracht und dann freigelassen.« Und oh, wie glücklich war sie nun, dass es Aliz gewesen war, die in der Dunkelheit zurückbleiben musste, und nicht sie selbst. »Ich weiß nicht, wo sie jetzt sein könnte …« Obwohl sie eine Ahnung hatte. Vielleicht hatte Brint die auch. Vielleicht dachte er die ganze Zeit an nichts anderes.
»Hat sie irgendetwas gesagt?«
»Sie war … sehr tapfer.« Finree brachte es fertig, die schwache Ahnung eines Lächelns auf ihre Lippen zu zwingen. Denn das tat man doch wohl in solchen Augenblicken, oder? Man log? »Sie hat gesagt, dass sie Sie liebt.« Tröstend legte sie Brint die Hand auf den Arm. Auf den einen, den er noch hatte. »Sie sagte … Sie sollten sich keine Sorgen machen.«
»Keine Sorgen«, murmelte er und sah sie mit einem blutunterlaufenen Auge an. Ob er sich getröstet fühlte, empört war oder ihr schlicht kein Wort von den Plattitüden glaubte, mit denen sie die Schuld von sich wegschob, konnte sie nicht sagen. »Wenn ich doch nur wüsste, was mit ihr passiert ist.«
Finree glaubte nicht, dass ihm das wirklich helfen würde. Ihr zumindest half es kein bisschen. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie und konnte ihn nun auch nicht mehr ansehen. »Ich habe versucht … ich habe alles versucht, was in meiner Macht stand, aber …« Das zumindest entsprach der Wahrheit. Oder nicht? Sie drückte Brint ein letztes Mal schwach den Arm. »Ich muss gehen … neue Verbände holen …«
»Kommen Sie wieder?«
»Ja«, sagte sie und erhob sich hastig, wobei sie sich selbst nicht sicher war, ob sie auch jetzt wieder log. »Natürlich tue ich das.« Beinahe stolperte sie über die eigenen Füße, so eilig hatte sie es, diesem Albtraum zu entkommen, und sie dankte den Schicksalsgöttinnen wieder und wieder und wieder dafür, dass sie es gewesen war, die sie zur Rettung auserkoren hatten.
Doch irgendwann hatte sie genug davon, Buße zu tun, und stieg den Bergpfad zum Hauptquartier ihres Vaters hinauf. Kam an zwei Korporälen vorüber, die zu der Musik einer kreischenden Geige einen lustigen Reigen tanzten. An mehreren Frauen, die Hemden in einem Bach wuschen. An Soldaten, die sich begierig und ordentlich aufgestellt hatten, um das Gold des Königs in Empfang zu nehmen; durch das Gedränge hindurch erhaschte sie einen Blick auf das schimmernde Metall zwischen den Fingern des Zahlmeisters. Eine kleine Gruppe lamentierender Händler, Schieber und Zuhälter hatte sich bereits am anderen Ende der Reihe eingefunden und lauerte dort wie Möwen auf ausgeworfene Brotkrumen. Offenbar war ihnen schmerzhaft klar, dass der Frieden ihnen schon bald das Geschäft ruinieren würde und dann wieder ehrliche Männer zum Zuge kommen würden.
Nahe der Scheune kam sie an General Mitterick vorbei, der von einigen Stabsoffizieren umringt war, und er nickte ihr huldvoll zu. Sie wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise war auf seine unerträgliche Überheblichkeit ebenso viel Verlass wie auf den Sonnenaufgang. Dann sah sie Bayaz, der gerade unter dem niedrigen Türsturz hindurch ins Freie trat, und ihr ungutes Gefühl verstärkte sich. Er ließ sie vorbei und zeigte dabei genau jene Überheblichkeit,
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