Heldenklingen
die Mitterick hatte vermissen lassen.
»Fin.« Ihr Vater stand allein im Zimmer und lächelte sie leicht verwirrt an. »Tja, nun ist es so weit.« Dann setzte er sich auf einen Stuhl, atmete seufzend ein und knöpfte sich den Kragen auf. In den letzten zwanzig Jahren hatte sie das nicht ein einziges Mal erlebt, jedenfalls nicht tagsüber.
Sie ging wieder nach draußen. Bayaz stand noch ganz in der Nähe und sprach mit seinem lockenköpfigen Handlanger.
»Sie! Ich muss sofort mit Ihnen sprechen!«
»Und ich zufällig auch mit Ihnen. Was für ein glücklicher Zufall.« Der Magus wandte sich wieder seinem Diener zu. »Gib ihm also das Geld, wie wir es vereinbart haben, und … dann rufst du die Rohrreiniger.« Der Diener verneigte sich und zog sich respektvoll zurück. »Nun, was ich kann ich für Sie …«
»Sie können ihn nicht einfach ersetzen.«
»Und von wem reden wir jetzt?«
»Von meinem Vater!«, fauchte sie.
»Ich habe ihn nicht ersetzt.« Bayaz sah beinahe amüsiert aus. »Ihr Vater hatte die große Güte und auch den Verstand, den Dienst zu quittieren.«
»Er ist der beste Mann für diese Aufgabe!« Sie musste sich beherrschen, um den Magus nicht an seinem kahlen Kopf zu packen und hineinzubeißen. »Er war der Einzige, der dafür gesorgt hat, dass sich dieses sinnlose Morden in Grenzen hielt! Und dieser aufgeblasene Narr Mitterick? Der hat gestern seine halbe Division in den Tod getrieben! Der König braucht Männer, die …«
»Der König braucht Männer, die ihm gehorchen.«
»Sie haben hier überhaupt keine Befehlsgewalt!« Ihre Stimme überschlug sich. »Mein Vater ist Lord Marschall und hat einen Sitz im Geschlossenen Rat! Nur der König selbst kann ihn abberufen!«
»Oh, welch eine Schande! Da werde ich doch tatsächlich von den Regierungsgrundsätzen entmachtet, die ich selbst ersonnen habe!« Bayaz schob die Unterlippe vor, griff in seine Manteltasche und zog eine Schriftrolle mit dickem, rotem Siegel hervor. »Dann hat das hier vermutlich auch kein Gewicht.« Vorsichtig entrollte er das dicke Pergament, das leise knisterte. Finree blieb plötzlich der Atem weg, während sich der Magus räusperte.
»Kraft königlichen Erlasses wird Harod dan Brock der Sitz seines Vaters im Offenen Rat wieder zuerkannt. Er erhält zudem einen Teil jener Güter zurück, welche die Familie in der Nähe von Keln besaß, weiterhin Ländereien bei Ostenhorm, von denen aus Ihr Gatte sich dann seinen neuen Verpflichtungen als Lord Statthalter von Angland widmen kann.« Bayaz drehte das Schreiben um und hielt es ihr hin, und Finrees Augen glitten so begierig über die in meisterlicher Schönschrift verfassten Absätze, wie ein Geizhals eine Kiste mit Edelsteinen betrachtet.
»Wie könnte der König sich unbeeindruckt zeigen von solcher Treue, Tapferkeit und Opferbereitschaft, wie sie der junge Lord Brock bewiesen hat?« Bayaz neigte sich zu ihr. »Gar nicht zu reden von dem Mut und der Hartnäckigkeit seiner Frau, die, stellen Sie sich vor, von den Nordmännern gefangen genommen wurde, dem Schwarzen Dow aber heftig auf die Füße trat und die Freigabe von sechzig Gefangenen erstritt! Na, da hätte Seine Erhabene Majestät ja wohl aus Stein sein müssen. Und das ist er nicht, falls Sie das glaubten. Ganz und gar nicht, sollte ich hinzufügen. Er hat geweint, als er den Heeresbericht las, in dem von dem heldenhaften Angriff Ihres Gatten auf die Brücke die Rede war. Geweint . Dann befahl er, dieses Schreiben aufsetzen zu lassen, und unterschrieb es noch in derselben Stunde.« Der Magus kam ihr nun so nahe, dass sie beinahe seinen Atem auf ihrer Wange spürte. »Ich würde sogar sagen … wenn man dieses Dokument ganz genau unter die Lupe nähme … dann würde man die Spuren der aufrichtigsten Tränen Seiner Majestät auf dem Pergament entdecken können.«
Zum ersten Mal, seit ihr das Schreiben gezeigt worden war, hob Finree die Augen von der Schriftrolle. Sie war Bayaz so nahe, dass sie jedes einzelne graue Haar in seinem Bart wahrnahm, jeden Altersfleck auf seiner kahlen Platte, jede tiefe, scharfe Furche in seiner Haut. »Es würde eine Woche dauern, bis ihn ein solcher Bericht erreichte, und eine weitere Woche, damit ein solcher Erlass hier einträfe. Dabei ist nur ein Tag vergangen, seit …«
»Nennen Sie es Zauberei. Der schlaffe Körper Seiner Majestät mag ja eine Woche entfernt in Adua vor sich hin vegetieren, aber seine rechte Hand?« Bayaz hielt die eigene hoch. »Seine rechte Hand ist direkt in der
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