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Heldenklingen

Heldenklingen

Titel: Heldenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Nachteil, nämlich die Lücken zwischen den einzelnen Monolithen. Die Reihen der Unionisten – wenn man diesen Ausdruck für die Grüppchen von Soldaten und Offizieren überhaupt verwenden wollte, die sich spontan bildeten und verzweifelt kämpften, wo sie gerade standen – knickten unter dem Druck immer stärker ein und drohten, sich ganz und gar aufzulösen, obwohl es längst keine Rückzugsmöglichkeit mehr gab.
    Befehle. Er hatte das Kommando und musste befehlen. »Ähm!«, rief er und schwenkte seinen Säbel. »Äh …« Es war alles so schnell gegangen. Welchen Befehl hätte Lord Marschall Varuz wohl in so einem Augenblick gegeben? Er hatte Varuz immer bewundert. Unerschütterlich.
    Culfer stieß einen dünnen Schrei aus. Ein schmaler Spalt zeigte sich in seiner Schulter bis hinunter zur Brust, und weiße Knochensplitter wurden darin sichtbar. Wetterlant wollte ihm sagen, dass es sich für einen Offizier der Königstreuen nicht gehörte, derartig zu kreischen. Ein solcher Laut ging vielleicht durch, wenn man zu einem der zwangsrekrutierten Regimenter gehörte, aber im Sechsten erwartete er mannhaftes Gebrüll. Culfer glitt beinahe elegant zu Boden, Blut quoll aus der Wunde, und nun trat ein großer Nordmann mit einer Axt in der Faust zu ihm und hieb ihn in Stücke.
    Wetterlant war sich undeutlich bewusst, dass er seinem stellvertretenden Kommandanten hätte zu Hilfe kommen sollen. Aber er stand völlig bewegungsunfähig da, wie gelähmt von der geschäftsmäßigen Ruhe, mit der dieser Nordmann zu Werke ging. Er arbeitete still wie ein Maurer, der ein besonders anspruchsvolles Stück Mauerwerk vor sich hatte und sichergehen wollte, dass es seinen hohen Ansprüchen gerecht wurde. Als er Culfer, der unerklärlicherweise immer noch leise kreischte, schließlich in eine zufriedenstellende Zahl von Einzelstücken zerlegt hatte, wandte er sich zu Wetterlant um.
    Die abgewandte Gesichtshälfte war von einer riesigen Narbe bedeckt, und in seiner Augenhöhle glänzte eine helle Kugel aus schimmerndem Metall.
    Wetterlant rannte davon. Dabei war sein Kopf völlig leer, ohne einen einzigen Gedanken. Sein Verstand war verloschen wie eine ausgeblasene Kerze. Er rannte schneller, als er die letzten dreißig Jahre lang jemals irgendwann gerannt war, und schneller, als er selbst es einem Mann seines Alters zugetraut hatte. Er sprang zwischen zweien der alten Steine hindurch und dann in langen Sätzen den Abhang hinunter, seine Stiefel peitschten durch das lange Gras, und ganz am Rande nahm er wahr, dass um ihn herum andere Männer liefen, dass man schrie und zischte und drohte, dass Pfeile über seinem Kopf durch die Luft flogen und seine Schultern in dem Bewusstsein brannten, dass der Tod unvermeidlich in seinem Rücken lauerte.
    Alsbald ließ er den Hügel der Kinder hinter sich, dann eine Kolonne verwirrter Soldaten, die erst noch den Hang hinaufmarschiert waren und nun in aufgelöster Formation wieder herunterrannten. Sein Fuß glitt in eine kleine Kuhle, und über den Schreck vertrat er sich das Knie. Er biss sich auf die Zunge, schlug der Länge nach hin und rollte den Abhang hinab, immer weiter und weiter, ohne bremsen zu können. Schatten fiel über ihn, als er endlich ungelenk in einem Regen aus Blättern, Zweigen und Dreck liegen blieb.
    Stöhnend und steif drehte er sich auf die Seite. Sein Säbel war verschwunden, die rechte Hand völlig wund gescheuert. Die Waffe hatte sich seinem Griff entwunden, als er fiel. Die Klinge, die sein Vater ihm an jenem Tag gegeben hatte, als er sein Offizierspatent für die Königstreuen erhielt. So stolz war er gewesen. Er fragte sich, ob sein Vater jetzt auch stolz sein würde. Er lag unter Bäumen. War dies schon der kleine Obsthain? Er hatte sein Regiment im Stich gelassen. Oder hatte sich vielmehr das Regiment zuerst davon gemacht? Sämtliche militärischen Verhaltensmaßregeln, vor wenigen Augenblicken noch die Grundlage einer unerschütterlichen Gefechtsformation, waren plötzlich hinweggefegt worden wie Rauch vom Wind. Es war so schnell gegangen.
    Sein wundervolles Sechstes Regiment, sein Lebenswerk, aufgebaut mit reichlich Politur, rigorosem Drill und unnachahmlicher Disziplin, war binnen weniger irrsinniger Augenblicke zerstört worden. Wenn jemand von den Männern überhaupt überleben würde, dann nur jene, die als Erste die Flucht ergriffen hatten. Die frischesten Rekruten und die ängstlichsten Feiglinge. Und er zählte zu ihnen. Sein erster Reflex war es, Major Culfer

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