Heldensabbat
bleiben Sie so lange in Mainbach in Garnison, bis man Sie auf Kriegsschule abkommandiert.« Der Major wird zum Gönner, zum Schutzpatron: »Na, sind das nun Flitterwochen oder nicht?«
»Jawohl, Herr Major«, erwidert der Feldwebel. »Ich würde mich bei Herrn Major herzlich bedanken, wenn es nicht unmilitärisch wäre.«
»Schnell kapiert, Akademiker«, erwidert der Kommandeur. »Nun gebe ich Ihnen noch einen letzten Rat mit auf den Weg, Faber«, sagt er und verabschiedet ihn mit Händedruck. »Trinken Sie ruhig wieder, aber saufen Sie künftig witzlos.« Er betrachtet unwillig den eintretenden Ordonnanzoffizier. »Was ist denn nun schon wieder los?«
»Leutnant Landgrabe von der Propagandakompanie«, meldet der Oberleutnant.
Während Faber geht, haut der Kriegsberichterstatter die Hacken zusammen.
»Schnappen Sie sich einen Stuhl und ein Glas und setzen Sie sich auf Ihre vier Buchstaben«, sagt der in PK-Kreisen mit Vorsicht zu behandelnde Haudegen. »Und das nächste Mal kommen Sie rechtzeitig. Die Ordensverleihung ist längst vorbei.«
»Ich wurde aufgehalten, Herr Major.«
»Sie können sich bei mir einschmeicheln, Leutnant Landgrabe«, stellt der Offizier fest. »Dem Feldwebel, den Sie eben gesehen haben, Dr. Hans Faber, Reservist und Studienassessor aus Mainbach, unserer Garnisonsstadt, wurde heute vom Führer das EK I verliehen. Er hat ein tolles Husarenstück geschafft – im Alleingang!«
»Genau die Geschichte, die ich suche, Herr Major.«
»Können Sie dafür sorgen, daß ein Bericht und vielleicht auch noch sein Foto in die Mainbacher Zeitung kommen?«
»Selbstverständlich, Herr Major. Die Ortspresse ist auf solche Reportagen besonders erpicht. Natürlich muß das Propagandaministerium den Text vorher genehmigen, aber das ist bei mir nur eine Formsache – ich bin dort gut angeschrieben.«
»Nehmen Sie Ihren Bleistift und spitzen Sie die Ohren, Leutnant«, sagt Pringsheim. »Ich gebe Ihnen den Rohstoff zu 'ner anständigen Heldenschnulze.« Er schildert, nun doch ein wenig unter dem Einfluß der Wodkaprozente, die Taten des Dekorierten so anschaulich und übertrieben, daß sich die Mainbacher wundern werden, warum einem solchen Draufgänger nicht gleich das Ritterkreuz verliehen wurde.
In Großdeutschland wehen die Fahnen eine Woche lang für den Sieg in Polen. Aus gleichem Anlaß ruft Kreisleiter Eisenfuß zu einer Großkundgebung auf dem Maxplatz. Schon Stunden zuvor wuchten die Trommeln und Pfeifen der Spielmannszüge durch die winkligen Altstadtgassen, dröhnen die Lautsprecher, wird das Straßenbild uniform. Die Propaganda schaltet jetzt von scheinheiligen Friedensbeteuerungen voll auf Krieg und Sieg um. Gefiltert und gedämpft dringt der Lärm noch durch die dicken Kirchenmauern. Die Andachtsräume sind überfüllt mit Frauen und Müttern, die für ihre Männer und Söhne beten. Polen hat auf deutscher Seite laut offizieller Mitteilung 10.572 Gefallene, 3409 Vermißte und 30.322 Verwundete gekostet.
Sonst merkt man in Mainbach erst, daß Krieg ist, wenn die Dunkelheit einfällt. Abgeschirmte Notlaternen nieten kleine Lichtlöcher in die Nacht. Die Passanten tragen Leuchtstoffplaketten am Revers und tasten sich wie blind voran. Delikte, die unter Ausnützung der Verdunkelung verübt werden, können den Kopf kosten. Zur Abschreckung wird ein Handtaschendieb in Berlin zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Am Maxplatz rauscht Beifall auf, aber es sind immer dieselben, die vor Begeisterung toben, wenn auch viele. Noch immer ist die anfangs müde Kriegsstimmung nicht voll auf Touren gekommen. Die Jüngeren lassen sich mitreißen; die Alten fürchten, daß fünfundzwanzig Jahre und einen Monat nach dem Ersten Weltkrieg der Zweite jetzt Trauer, Not und Entsetzen zurückbringen könnte. Den Blitzschlag im Osten finden sie schon imponierend, aber Polen ist ein schwaches und kleines Land, und Frankreich und Großbritannien sind die nächsten Gegner, sind militärisch bis jetzt nur zu Wasser und in der Luft in Erscheinung getreten, und so fragen sie sich: Wie lange wird der Krieg diesmal dauern? Wieviel Blut wird er kosten? Ist der Westwall tatsächlich so unbezwingbar, wie die Propaganda tönt? Werden nach der Niederlage Polens die Westmächte nicht vielleicht doch klein beigeben?
Bereits am ersten Kriegstag war das Abhören feindlicher Sender unter Strafe gestellt worden. In den Zeitungen erschienen kurz darauf Meldungen über Schwarzhörer in Berlin und Düsseldorf, die von Sondergerichten
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