Heldensabbat
Humanisten einen mehr zufälligen Kriegshelden gemacht.
Der frühere Studienassessor ist im Gesicht schmaler geworden.
Die drei Monate seit seiner Flucht aus Mainbach und der Trennung von Sibylle haben es plissiert. Die Muskeln spannen sich straff über den Backenknochen. Die Lippen wirken knapp und diszipliniert, die Augen klug und noch immer ein wenig verträumt, Augen, die gerne ins Grüne streifen, aber in den letzten neunzehn Tagen überwiegend rot gesehen haben, blutrot.
Der Weg nach Warschau war keine Spazierfahrt gewesen. Die Polen hatten sich energisch, todesmutig gegen Hitlers Überfall zur Wehr gesetzt, aber sie waren schlecht gerüstet, miserabel geführt, und sie wurden von ihren westlichen Bundesgenossen im Stich gelassen. Als sich die Überfallenen mit letzter Kraft gegen die deutschen Truppen aus dem Westen stemmten, waren ihnen am 17. September aus dem Osten sowjetische Divisionen in den Rücken gefallen, um ihnen den Todesstoß zu geben. Stalin auf Hitlerkurs: gleiche Mörder, gleiche Kappen. Der rote Zar wollte sich beim Länderraub nicht von seinem braunen Verbündeten überbieten lassen.
Nach dem Beistandspakt mit Polen hätten nunmehr England und Frankreich der Sowjetunion den Krieg erklären müssen, aber sie verzichteten auf Vertragstreue ebenso wie auf eine militärische Hilfeleistung für Warschau. Krieg war für die Alliierten die Fortsetzung der Politik mit üblichen Mitteln, und die große Hure Politik nimmt nun einmal jeden Freier.
Die Verteidiger verbluteten in der Entscheidungsschlacht an der Bzura. Ihre pferdebespannte Artillerie war bewegungslos, weil die Zugtiere von Tieffliegern abgeknallt wurden. Reiterverbände ritten mit eingelegter Lanze hoffnungslose Attacken gegen gepanzerte Kampfwagen. Man hatte den Kavalleristen eingeredet, daß sie – wie bei früheren Manövern der Reichswehr – nur aus Pappe und Leinwand bestünden.
Der Angriff wurde zu einem einseitigen, furchtbaren Gemetzel an Mensch und Tier. Blieben die Panzerkolonnen stecken, forderten sie Luftunterstützung an. Aus dem Zusammenwirken schneller motorisierter Erdverbände mit den Geschwadern der Luftwaffe entstand die Blitzkriegtechnik: Das Töten hatte eine neue Dimension erreicht.
Inmitten der Horrorszenen, der gestürzten Pferde mit aufgerissenen Leibern, aus denen blutig die Gedärme hervorquollen, der abgeworfenen Reiter, die von Panzerketten zermalmt wurden, hatte sich Feldwebel Hans Faber gefragt, wie wohl einem drahtigen Reiteroffizier mit zahlreichen Turniersiegen, der jetzt eine Panzerabteilung führte, zumute sein mußte. Aber bald kam kein Soldat der verstärkten 4. Panzerdivision – zu der auch das Regiment 35 gehörte – dazu, überhaupt noch über etwas nachzudenken, denn die Kampfwagen versuchten nach einem verwegenen Durchbruch – 400 Kilometer in acht Tagen – im Alleingang Warschau handstreichartig zu nehmen. Was Räder und Raupen hatte, schob sich vorwärts; durch trostlose Arbeiterviertel erreichte die Vorhut die Hauptstraße, passierte einen Park in Richtung Bahnhof. Aus Kellerlöchern und Lagerschuppen, Grünanlagen und Ruinen wurden die Angreifer von wütendem Abwehrfeuer empfangen. Die Verteidiger sprengten mit geballten Ladungen die Panzerketten, wehrten sich im Nahkampf mit Handgranaten oder brachten raffiniert getarnte Panzerabwehrgeschütze ins Gefecht.
Der Alleingang der 35er brach blutig zusammen. Ohne Sprit und ohne Munition starrten sie an den westlichen Horizont, aus dem endlich Nachschub kommen mußte. In einer Stunde, am nächsten Tag oder überhaupt nicht. Sie hielten aus, so wie die polnischen Verteidiger durchhielten, obwohl sich ihr Oberbefehlshaber mit seinem Stab ohne Waffen, doch mit reichlichem Gepäck bereits ins Ausland abgesetzt hatte.
»Achtung!« schreit der ranghöchste Offizier, als der Kommandeur mit seinem Kübelwagen vorgefahren ist; er macht Meldung, aber Major von Pringsheim kürzt das militärische Brimborium ab. Sein Blick pendelt an der Front der Angetretenen entlang. »Ich möchte es kurz machen«, beginnt er. »Zunächst muß ich feststellen, daß sich die ganze Panzerlehrabteilung, das Regiment 35 und die gesamte 4. Panzerdivision ausgezeichnet haben, auch wenn man vergessen hat, uns zur Siegesfeier nach Warschau einzuladen.« Der Offizier, der bereits die Spange zum EK I trägt, fährt fort: »Ich werde Ihnen jetzt Ihre Auszeichnungen überreichen, anschließend möchte ich mit Ihnen zwanglos darauf anstoßen.«
Er schreitet die
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