Heldensabbat
Front der Dekorierten ab, würdigt jeden von ihnen mit ein paar Worten, er benötigt dabei keinen Souffleur. »Sie, Feldwebel Faber, haben bereits am dritten Kriegstag zwei verwundete Kameraden aus einem brennenden Kampfwagen geborgen. Das Regiment hat Sie daraufhin zum EK II vorgeschlagen. Zwei Tage später haben Sie im selbständigen Entschluss mit Ihrem Panzer III eine überlegene polnische Pakbatterie, die uns hohe Verluste zugefügt hatte, angegriffen und ausgeschaltet. Ich überreiche Ihnen hiermit als erstem Unteroffizier meiner Abteilung das EK II und das EK I.« Pringsheim heftet dem Reservisten die Orden an die Brust, reicht ihm die Hand und geht zum nächsten weiter.
Einen Moment lang schämt sich der Erzieher, daß einer wie er, der den Krieg so hasst, nunmehr Eisenblech trägt, aber er hatte während des Gefechts keine andere Wahl gehabt: Hätte er die Pakstellung nicht niedergewalzt, wäre er von dieser vernichtet worden. Das Gesetz des Krieges: Wer leben will, muß töten.
Faber sieht Sibylle ganz nahe vor sich, und auf einmal, wie von selbst, rückt Mainbach wieder näher: Weihnachten 1939 war von Claus, seinem Freund und Fluchtregisseur, als Hochzeitstermin in Aussicht gestellt worden, und an diese Vorstellung hatte sich der bei der Wehrmacht Untergetauchte geklammert, ohne an sie zu glauben. Einen Moment lang fragt er sich, was wohl schwerer wiegt, ein leichtfertiger Politwitz oder das Eiserne Kreuz beider Klassen.
In einem zweckentfremdeten Unterrichtsraum des Schulhauses ist ein kleiner Imbiss vorbereitet worden, Wurstbrote und Wodka, alles aus Beutebeständen. Der Kommandeur trinkt das scharfe Gesöff aus einem großen Wasserglas. Vielleicht muß er das Bild der zuckenden Pferdeleiber und das durch jede Panzerplatte dringende Todesgebrüll ertränken. Auch die anderen sprechen mehr dem Schnaps zu als den belegten Stullen. Fünfundvierzig Prozent Alkohol setzen sich schließlich durch, heizen die Stimmung an, trotzdem schwappt sie nicht über. Es liegt nicht daran, daß die Männer gehemmt wären, weil der Major unter seinen Soldaten ist, sondern daran, daß das Panzerregiment vierundsechzig Tote und achtundfünfzig Verwundete zählt und zudem noch fünfundvierzig Kampfwagen verloren hat.
Der baumlange Adjutant beugt sich zu Pringsheim hinunter und sagt ihm etwas.
Der Major nickt unwillig, betrachtet dann einen Moment lang Faber, geht auf ihn zu. »Sie haben ja gar nichts mehr im Glas, Feldwebel«, stellt er fest.
»Danke, mir reicht's schon, Herr Major«, erwidert Faber.
»Anfänger«, spottet der Kommandeur. »Sie kommen anschließend zu mir«, befiehlt er, mehr verbindlich als militant. »Wir haben etwas zu erledigen, Papierkram.«
Der Papierkram ist eine scharf gefasste Anzeige des Oberstaatsanwalts Rindsfell, die mit dem verspäteten Nachschub durchgekommen ist.
Pringsheim überfliegt sie. »Setzen Sie sich doch, Faber«, sagt er und liest das Schreiben jetzt so gründlich, als müßte er buchstabieren. »Verstoß gegen das Heimtückegesetz«, murmelt der Mann mit dem schmalen Kopf, den auffallend blauen Augen und dem sorgfältig gezogenen Scheitel im bereits gelichteten Haar; er schüttelt sich. »Sie sehen nun nicht gerade aus wie ein Heckenschütze, Herr Dr. Feldwebel.«
»Ich war eine Art Außenseiter an meiner Schule«, erklärt Faber. »Ich gehöre weder der Partei noch einer Gliederung an, und –«
»Ich auch nicht«, unterbricht ihn der Offizier mit den Reiterbeinen und grinst breit. »Aber ich gehöre der Panzerwaffe an und führe einen Eliteverband, der sich hervorragend geschlagen hat.«
»Man hat mich immer wieder bei der Beförderung zurückgestellt«, berichtet Faber. »Wir hatten da so ein paar alte Kämpfer an der Schule, die mich bespitzeln ließen.«
»Das hab' ich gern«, versetzt der Bataillonskommandeur grimmig.
»Sie haben mich vorhin gefragt, warum mein Glas leer sei, Herr Major. Nun – bei der Verabschiedung meiner letzten Abiturienten war es nicht leer. Ich hatte wohl ein bisschen zu viel intus und gab einen dämlichen Witz von mir, der dann von einem Schüler – alle anderen hatten sich hinter mich gestellt – seinem Auftraggeber hinterbracht wurde.«
»Sie Spaßmacher«, erwidert der Major belustigt und streckt sich betont wohlig in seinem Sessel aus. »Diesen Witz möchte ich jetzt hören.«
»Das ist vielleicht nicht angebracht, Herr Major.«
»Zieren Sie sich nicht wie 'ne Jungfrau.« Pringsheim reißt die Türe auf, ruft seinen
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