Heldensabbat
bleibst, und wirst im Blitztempo befördert.« Sein Lachausbruch erstarrt zu Grimm. »Vielleicht komm' ich nach dem Krieg auf Tante Gundas Vorschlag zurück und übernehme ihr Weingut.«
»Notfalls könntest du auch in unserer Firma avancieren«, versetzt Sibylle und lacht über sein bestürztes Gesicht. »Mach, was du willst, Hans, aber überleb den Krieg!«
»Und bis dahin werden wir jede Minute, jede Sekunde Gemeinsamkeit auskosten«, erwidert Faber ernst.
»Vielleicht lenken die Engländer und Franzosen doch noch ein«, entgegnet Sibylle.
»Nie«, erwidert Hans Faber. Obwohl er immer angenehm leise spricht, dreht er sich nach Zuhörern um, und die hübsche Volkswirtin stellt zum ersten Mal fest, daß auch er an der ›politischen Halskrankheit‹ laboriert. »Dieser Krieg wird erst zu Ende sein, wenn Hitler zum Teufel gejagt oder Deutschland vernichtet ist.«
Sibylle versteht ihn nicht ganz, aber Hans ist nun einmal ein sehr skeptischer Mensch, stets vom Verstand gesteuert, charakterlich immer konsequent.
Am Nachmittag kommt Gustav Bertram, der sonst abwesende Hausherr, aus München an. Er sieht ungut aus, ist gealtert, wirkt wie ein Trinker, der seine Sucht verheimlichen möchte. Nur seine Frau weiß, daß Cora Nimmwegh, ihre Rivalin, einen Direktor der Münchener Niederlassung geheiratet hat und als Vorstandsassistentin aus der Firma ausgeschieden ist. Die rassig-rothaarige Berlinerin war offensichtlich auf Nummer sicher gegangen und hatte eine zweite Wahl getroffen. Der Geschäftsführer der »Bertrag« ist nicht mehr auf Expansionskurs, weder privat noch geschäftlich; er gibt sich stiller, beherrschter, und beim Familienfest heißt es für ihn: Flucht nach vorn.
»Herr Dr. Faber«, sagt er zu seinem Schwiegersohn. »Wir hatten eine unangenehme Auseinandersetzung – es tut mir leid. Die Vorwürfe, die ich damals gegen Sie erhob«, er kann das Bramarbasieren doch nicht ganz lassen, »habe ich auf sich beruhen lassen. Und Sie haben ja inzwischen auch als Soldat Ihre Pflicht erfüllt.«
»Schon gut«, erwidert der Urlauber und zwingt sich, Bertram die Hand zu geben, aber er bleibt beim »Sie«.
Noch rechtzeitig zum Polterabend trifft Rolf ein. Er schlüpft sofort aus seiner grobtuchigen RAD-Uniform wie ein abtrünniger Mönch aus der Kutte. »Die letzte Scheiße«, erklärt er. »Ich stehe wirklich voll und ganz hinter dem Führer, aber diese scheißdrecksfarbene Knochenmühle hätte er sich sparen können. Bin ich froh, wenn ich endlich zum Barras komme!«
»Da werden sie dich in der Rekrutenzeit auch ganz schön schleifen«, unkt Schwager Hans.
»Das ist mir piepegal«, versetzt Rolf. »Das hat wenigstens einen Sinn. Und ich reinige lieber ein Gewehr als einen Spaten.« Sein Zorn fällt zusammen wie eine Stichflamme. »Ich soll dich übrigens herzlich von Stefan Hartwig grüßen«, erinnert er sich.
»Wie geht's Stefan?«
»Beschissen«, entgegnet Rolf. »Mit Claudia stimmt es nicht mehr so recht, und dann hat dieses Schwein von einem Feldmeister ihn besonders auf der Latte und schikaniert ihn bis zum Weißbluten. Wenn wir dieser Sau bei Nacht und Nebel begegnen, schlagen wir sie tot wie einen räudigen Hund.«
»Wie viele räudige Hunde habt ihr denn schon erschlagen?« fragt der Erzieher.
»Keinen«, erwidert Rolf grinsend.
»Dann beherrscht euch gefälligst auch weiterhin – der RAD muß euch ja ohnedies bald laufen lassen.«
Am Sonntag wird es feierlich: Hochamt in der Wallfahrtskirche ›Maria im Sand‹ am hohen Mainufer bei Dettelbach, die ›Air‹ von Bach, ›Toccata und Fuge D-Moll‹, ›Passacaglia in C-Moll‹ und dann, auf besonderen Wunsch der Brautmutter, das ›Largo‹ von Händel. Selbst Gustav Bertram als Brautführer im Cut kann Würde und Weihe nicht mindern.
Sibylle trägt ein weißes, schlichtes Brautkleid und ein zartes Gebinde aus weißen Kalablüten und gelben Rosen. Ihre Mutter weint, Tante Gunda schluchzt, Sibylle schluckt, Claus Benz genießt satt den Lohn seines Geniestreichs, und Dr. Robert Klimm, der Arzt und letzte Junggeselle der unverwüstlichen »Drei Musketiere«, ist zugleich neidisch und schadenfroh.
»Denn die Herrlichkeit Gottes, des Herrn«, spielt am Ende der Organist. Händels ewige Akkorde hallen mächtig durch das Kirchenschiff, schwellen an zu Wucht und Macht, entrücken die Menschen der Zeit, der Not und der Angst. »Denn die Herrlichkeit Gottes, des Herrn«, dröhnt die gewaltige Orgel, als Sibylle am Arm Dr. Hans Fabers, der während
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