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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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ihre Haltung dem Pädagogen klar, daß er seine Abneigung zu differenzieren hat, zumindest im Jahr 1939, in dem das Offizierskorps von dem papierdeutschen Führer noch nicht korrumpiert ist und noch über ein gerades Rückgrat verfügt.
    Regelmäßig erhält Faber jetzt Heimatpost, Briefe voller Sehnsucht, Liebe und Einsamkeit. Das Aufgebot für die Hochzeit ist bereits bestellt, und es ist beschlossen, daß das Familienfest – um in Mainbach möglichst wenig Aufsehen zu erregen – auf Tante Gundas Weingut gefeiert wird. Der Ring schließt sich: Die Absprungstation seiner Flucht wird auch die Ehrenpforte seiner Rückkehr sein.
    Mitte Oktober – das Gros des Regiments ist bereits per Schiene nach Mainbach unterwegs – erhält Feldwebel Faber den Marschbefehl nach Lüdenscheid. Er ist ungeduldig, aber er braucht nicht lange zu warten. Nach zwei Tagen werden ihm Urlaubsschein und Marschpapiere ausgehändigt, und das heißt im Klartext, daß er zu Hause voll rehabilitiert ist.
    Der Zug rollt für Dr. Hans Faber so langsam, daß er am liebsten aussteigen und ihn anschieben möchte. Und noch nie hat er den unansehnlichen Bahnhof von Mainbach soschön empfunden wie bei seiner Ankunft. Der Urlauber hat sich nicht angesagt; er will Sibylle überraschen, aber das geht ihm gründlich daneben. Durch einen Anruf in Lüdenscheid hat seine Verlobte erfahren, daß er bereits in einen Einundzwanzig-Tage-Urlaub abgereist ist; sie wälzt den Fahrplan.
    Zweimal wartet sie vergeblich am Bahnsteig, aber nun klappt es, und das verblüffte Gesicht von Hans entschädigt sie mehrfach für die vergeblichen Anläufe. Sie nimmt den Urlauber gleich mit zu ihrer Mutter. »Du wohnst bei uns, Hans«, sagt sie. »Und wenn du willst, können wir am nächsten Wochenende schon heiraten.«
    »Warum so lange warten?« fragt er, und sie lachen beide.
    Bei der Begrüßung geht Sibylles sonst eher zurückhaltende Mutter aus sich heraus, und der Einfluß der Firma »Bertrag« ist groß genug, um Bruder Rolf Sonderurlaub von seiner RAD-Einheit zu verschaffen.
    »Ich hab' dir etwas mitgebracht«, sagt der Urlauber und löst sich in Raten aus der zärtlichen Umarmung. »Briefe, die ich nicht abschicken durfte.«
    Es ist ein ganzes Bündel.
    »Ich hab' dir auch etwas aufgehoben, Hans«, entgegnet Sibylle und geht an ihren Schrank. Auch sie entnimmt ihm einen Stoß Briefe. »Ich habe dir aber viel öfter geschrieben als du mir – jeden Tag«, stellt sie fest.
    »Jeden Tag konnte ich nicht schreiben«, erwidert der Feldwebel und wirkt auf einmal sehr ernst. »Ab und zu war ich in Polen ziemlich beschäftigt.«
    Er schlüpft aus der Uniform und steigt mit Wonne in einen Zivilanzug. Auf der Straße kommen sie nicht weit. Alle, die ihnen begegnen, wollen mit Faber noch einmal die polnische Pakstellung überrennen. Sie wundern sich, daß er Zivil trägt und nicht sein EK I und EK II auf der Heldenbrust herumzeigt.
    »Weißt du, Sibylle, vor genau fünfundzwanzig Jahren ereignete sich der Sturm auf Langemarck«, erwidert der Studienassessor, »dabei ist mein Vater gefallen.«
    »Mein Gott, Hans«, entgegnet sie erschrocken.
    »Man hat ihm posthum das EK I verliehen. Verstehst du nun meine Zurückhaltung?«
    Sie kuschelt sich an ihn. Sie haben einundzwanzig Tage vor sich, eine kleine Ewigkeit in dieser Zeit.
    Am nächsten Tag fahren sie zu Tante Gunda nach Dettelbach. Die sonst so resolute Witwe ist so aufgeregt, als würde sie heiraten. Hans und Sibylle wollen den Kreis der Gäste und den Aufwand klein halten, aber dagegen protestiert sie: »Ich hab' die Schatztruhe ausgeräumt«, erklärt sie. »Da sind noch Flaschen vom prächtigen Weinjahr 24 dabei, Spätlesen, Beerenauslesen –«
    »Was für eine Verschwendung«, erwidert Hans.
    »Weil du nur wieder da bist«, entgegnet sie. »Dafür hätt' ich noch viel mehr gegeben.«
    Am Morgen der Polterabends geht ein Schreiben des Mainbacher Gymnasiums ein: Dr. Schütz – der herzlich zur Hochzeit gratuliert – läßt wissen, daß das Kultusministerium seinem Wunsch nach Beförderung des Assessors Dr. Faber zum Studienrat entsprochen hat und auch die Bezüge mit Wirkung vom 1. Dezember 1939 entsprechend erhöht werden.
    Hans Faber lacht so laut und derb, wie es Sibylle von ihm nicht gewohnt ist. »Da bemühst du dich im Unterricht, junge Leute zu denkenden Menschen zu erziehen, und das kreidet man dir an. Dann überrollst du – ehrlich gesagt, aus Angst mutig – eine Pakstellung, nur, damit du am Leben

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