Heldensabbat
der Zeremonie ungewöhnlich ernst wirkt – aber so gehört es sich schließlich auch –, durch das Portal in die Zukunft schreitet. Ein später Sonnenstrahl leuchtet das blasse Gesicht der Braut aus, ihr glückliches Lächeln; die Orgel geleitet sie über den Kirchplatz zum Wagen.
Tante Gunda, die Gastgeberin, verwöhnt die Festrunde mit den irdischen Herrlichkeiten des Mainlandes, mit Spätlesen und hausgemachten Spezialitäten: Leberknödelsuppe, Rindfleisch mit Preiselbeeren, gefüllte Täubchen, gespickter Rehrücken, Schneebällchen in Vanillesoße stehen auf der Speisekarte. Dann wird in der Küche Kaffee aufgegossen, und es gibt Krapfen, Schwarzwälderkirschtorte, Plätzchen und geschnittene Hasen, ein Schmalzgebäck mit Zucker.
Nach einem ausgedehnten Verdauungsspaziergang serviert man erneut würzige Würste, warme Braten, kalte Platten, alles ohne Lebensmittelmarken. Die Schlemmerrunde erlebt eine Art Dettelbacher Fürstenhochzeit in Friedensqualität; Küche und Keller hätten Meisterköchen wie Horcher in Berlin oder Waltherspiel in München vor dem Krieg zur Ehre gereicht. Hochzeit, Kindstaufe und Beerdigung – alles gedeiht in diesem erdverbundenen und himmelsnahen Landstrich zu barocker Pracht.
»Mein Gott, Kinder«, sagt die strahlende Tante Gunda, die Hans Faber Vater und Mutter ersetzt hatte. »Haltet euer Glück fest.«
»Das tun wir gewiß«, versichert der Neffe und Erbe, aber er weiß genauso gut wie seine resolute Ersatzmutter und alle anderen, daß es nicht in ihre Hand gegeben ist.
»Sicher haben Sie Hans damals sehr geholfen, Herr Benz«, stellt sie, halb fragend, fest.
»Was heißt geholfen«, erwidert der Bräutigam. »Claus hat mich gerettet. Ohne ihn wäre ich heute im KZ oder im Zuchthaus.«
Die Gastgeberin erschrickt, aber sie ist eine Frau, die sich schnell fasst und zu rechnen versteht. Ihr Gesicht wird zum Spiegel, und der Neffe stellt belustigt fest, daß sie überschlägt, wie viele Spitzengewächse sie aus ihrer Schatztruhe als Gegenleistung anbieten könnte.
»Nein, Tante Gunda«, sagt Faber und nimmt sie in den Arm. »So gut ist nicht einmal dein Wein, daß du Freundschaft bezahlen könntest.«
Sie lachen und trinken. Sie vergessen für Stunden – länger kann man es nicht in dieser Zeit.
Das Übungsgelände liegt in der Nähe der Kreisstadt Prenzlau in Neubrandenburg, aber das ist unerheblich; die Rekruten kommen ohnedies nicht in die Altstadt mit der mittelalterlichen Wehranlage und auch nicht an die Ufer des idyllischen Unterrückersees. Sie liegen im Dreck und suchen die Hülsen der Übungspatronen wie Schweine die Morcheln.
Groß ist der Unterschied zu den RAD-Methoden bei der infanteristischen Grundausbildung nicht. Die Schleifer sind feldgrau statt erdbraun, der Zirkus dauert nur drei statt sechs Monate, und statt eines Spatens ist der Karabiner 98 K ihr wichtigstes Handwerkszeug.
Der kleine Schneiderbang aus Nürnberg hält die Schinderei nicht mehr aus, setzt auf der Toilette die ›Braut des Soldaten‹ an die Schläfe und drückt ab.
Es hindert den dümmsten Ausbilder des Bataillons, den grobschlächtigen Unteroffizier Zubelmaier, nicht, die Achtzehnjährigen weiter zu schikanieren, bis ihnen das Wasser im Arsch kocht. Fünf Abiturienten der früheren 8 c des Mainbacher Gymnasiums wurden am 1. März 1940 nach Prenzlau einberufen: Stefan Hartwig, der muntere Müller II, der kleine Parvus, der Pianist, Gernbach, der Generalssohn, und Braubach, der sich sein Abi durch Verrat erkauft hat. Die anderen schneiden ihn deswegen noch immer, aber wenn sie der dicke Zwölfender durchs Gelände scheucht, müssen sie doch mit ihm auf Tuchfühlung gehen.
»Gasmaske auf!« befiehlt die Affenstirn. »Laufschritt! Ein Lied!«
»Es ist so schön, Soldat zu sein«, keucht Stefan Hartwig, der die Schleiferei am leichtesten erträgt – ein RAD-Feldmeister hat ihn schließlich sechs Monate lang durch die Mangel gedreht.
Sie proben ›Häschen, hüpf‹ und Rolle vorwärts, und jede Bewegung hat im Laufschritt zu erfolgen. Der Ausbilder reißt grundsätzlich dreimal die Betten ein und findet immer Dreck nach dem Reinemachen. Panzeralarm gibt Zubelmaier nur dann, wenn sich die Rekruten in Schlammpfützen wälzen müssen – Kampfwagen greifen offensichtlich nur bei schlechtem Wetter an. Hinterher nimmt der Ausbilder sofort einen Kleiderappell ab und scheißt jeden zusammen, der das Drillichzeug nicht schnell genug ausgewaschen hat.
Als Stefan vom RAD entlassen
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