Heldensabbat
worden war, hatte er den auf die Kriegsschule bei Berlin versetzten Feldwebel Hans Faber nur um einen Tag verfehlt. Schlimmer für ihn war, daß er auch Claudia nicht antraf. Sie war – offensichtlich von ihren Eltern angestiftet – ausgerechnet in dieser Zeit beim Skilaufen in Tirol, obwohl sie wissen mußte, daß er kommen würde.
»Das haben Sie doch absichtlich so arrangiert, Frau Dörner«, hatte der Junge ihre Mutter angefahren.
»Stefan«, erwiderte sie, »sei nicht so widerborstig. Setz dich doch.« Sie bot dem Besucher eine Erfrischung an, er lehnte ab. »Du bist doch ein gescheiter Junge«, fuhr Claudias Mutter fort. »Du warst der Beste in der Klasse. Mein Mann und ich mögen dich wirklich, wir haben doch deinem Umgang mit Claudia nie einen Stein in den Weg gelegt.«
»Aber jetzt«, schnaubte der Junge. »Jetzt verstecken Sie Claudia vor mir.«
»Ihr beiden seid nunmehr in einen Lebensabschnitt eingetreten, in dem die Zeit der Blütenträume vorbei ist«, erklärte die Arztfrau. »Ihr seid beide achtzehneinhalb. Claudia wird in die Fußstapfen ihres Vaters treten und Medizin studieren. Zwar hat die Universität gerade die Ausbildung um zwei Semester verkürzt, aber es dauert doch mindestens fünf Jahre, bis sie zu ihrem Praktikum kommen wird – von diesem dummen weiblichen RAD, der ihr noch zusätzlich zwölf Monate aufbrummen will, ganz abgesehen. Und du, Stefan, was bist du – außer zu jung für Claudia?«
Stefan nahm jetzt doch eine Zigarette und zündete sie an; er rauchte hastig, und Zorn und Erregung waren ihm anzumerken.
»Gewiß, du bist Primus, Abiturient und jetzt bald auch Rekrut.«
»Drei Monate Grundausbildung, drei Monate Waffenschule, drei Monate Frontbewährung, sechs Monate Kriegsschule, das heißt, daß ich in fünfzehn Monaten Leutnant sein werde, verlassen Sie sich darauf, Frau Dörner.«
»Na und?« entgegnete sie. »Leutnant im Krieg mit einem Gehalt von ein paar hundert Mark.« Sie unterbrach sich. »Hast du keinen größeren Ehrgeiz? Ist das alles, was du werden willst?«
»In drei Jahren werde ich Hauptmann sein und in sechs Major, darauf können Sie sich verlassen.«
»Und so lange soll Claudia auf dich warten?«
»Wenn sie mich liebt, wird sie das tun.«
»Sie hat dich wirklich sehr gern, Stefan«, versicherte die Mutter. »Aber wenn es nach mir und meinem Mann geht, wird sie nicht so lange auf dich warten. Du, du bist uns immer willkommen, das sollst du wissen, du bleibst ein Freund des Hauses, aber du wirst kein Schwiegersohn.«
Stefan drückte die Zigarette aus, sprang auf und knallte die Türe hinter sich zu. Er hatte genug. Am Anfang fragte er sich noch, wie sie es geschafft haben konnten, seine Freundin so unter Kuratel zu stellen, und dann dehnte er seinen Ärger auch auf Claudia aus, weil sie nicht mehr um ihn gekämpft hatte. So mußte es gewesen sein, aus ihren letzten Briefen konnte er auch schon eine leichte Entfremdung herauslesen. Er erfasste, daß die Demütigungen dieses Schweinhundes von Feldmeister ihm viel von seiner Wirkung auf Claudia genommen haben mussten – wer sieht schon gerne den Mann seiner Wahl als einen getretenen Hund.
Halbzeit der Schleiferei in Prenzlau. Am 9. April 1940 überschreiten die deutschen Truppen ohne Kriegserklärung die Grenzen von Dänemark und Norwegen, um einer englischen Landung zuvorzukommen. Am 2. Mai stehen sie bereits in Mittelnorwegen, und eine Woche später beginnt der Krieg im Westen. Wiederum ohne Kriegserklärung werden Holland, Belgien, Luxemburg überfallen und überrannt. Deutsche Panzer rollen in einem unvorstellbaren Tempo durch Nordfrankreich. Das britische Expeditionskorps wird bei Dünkirchen fast ins Meer geworfen, kann sich aber zum größten Teil auf die Insel retten.
Wieder im Einsatz: Hans Faber, jetzt Oberfähnrich, direkt von der Kriegsschule an die Front abgestellt. Schon nach wenigen Einsätzen erreicht ihn die Beförderung zum Leutnant der Reserve. Seine Einheit stürmt weiter. Wenn sie liegen bleibt, kommen die Stukas, pauken die Panzer wieder heraus. Die Kampfwagen haben Benzinfässer aufgeschnallt; werden sie getroffen, bringen die Besatzungen das Material für ihre Feuerbestattungen gleich mit. Aber darum kümmert sich keiner. Weiter. Vorwärts. Über alle Widerstände hinweg. Was in Polen als Gewitter begann, wird in Frankreich zum Sturm.
Gebannt verfolgen die Rekruten von Prenzlau den Siegeszug. Stefan Hartwig hofft, daß er nach Ablauf seiner Rekrutenzeit und schon vor
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