Heldensabbat
Tage für 100 Kilometer. Am 20. Oktober bricht auch noch dieser klebrige Kriechverkehr zusammen. Fünftausend LKWs mit dringend benötigter Munition, Sprit und Verpflegung stranden, hoffnungslos ineinander verkeilt.
Der Schlammschlamassel lähmt Angriff und Verteidigung, aber die Russen gewinnen Zeit zur Vorbereitung ihrer Gegenoffensive. Die versunkene deutsche Armee wartet fluchend auf das Ende des Dauerregens, und weder General noch Mann wissen, daß es von der Traufe in die Katastrophe gehen wird.
Stefan Hartwig liegt fest und tröstet sich damit, daß sein Regiment bei diesen Verhältnissen Moskau nicht ohne ihn einnehmen kann. Er wartet und wartet; bei der Umstellung der Eisenbahnwagen auf Breitspur kommt es auch ohne Schlamm zu gewaltigen Verspätungen.
Inzwischen ist eine neue Plage entstanden: Partisanen. Weil die Nachschubeinheit zu den Fünfunddreißigern von ihnen niedergemetzelt wurde, muß der FJ-Unteroffizier als Nachschubkutscher einspringen und vertreibt sich jetzt die Zeit mit Kartenspiel und Wodka.
Schüsse fallen. Ganz in der Nähe. Stefan springt hoch, jagt hinaus.
»Nee, nee«, sagt ein sturer Obergefreiter zu ihm. »Das sind unsere. Die erschießen wieder Russen in rauen Mengen.«
»Warum?« fragt Hartwig.
»Frag den Führer«, entgegnet der Sture. Sein Mund wird zum Triangel. »Jeden Tag legen die Zivilisten um, auch Frauen und Kinder. Ich möcht' wirklich kein Iwan sein.« Er spuckt aus. »Und keiner, der zu diesem miesen Erschießungskommando gehört. Kannst dir's ja ansehen, wenn du's nicht glaubst«, setzt er hinzu und deutet zum Waldrand. »Da, ganz in der Nähe, sind die wieder am Werk.«
Stefan glaubt dem Schwätzer kein Wort. Deutsche werden Frauen und Kinder umbringen. Dummes Gequassel, Feindgehetze!
Er watet zum Waldrand. Er ist nicht der einzige, Gaffer gibt es nicht nur bei Verkehrsunfällen, sondern auch bei Massenhinrichtungen. Täglich treibt ein Sonderkommando von SS-Leuten und Polizeireservisten Zivilisten zusammen: Juden, Zigeuner, Funktionäre und Partisanenverdächtige. Die Verzweifelten müssen ihre Gräber selbst ausheben. Genickschuß. Löschkalk. Die nächste Gruppe.
»Das sind doch keine Partisanen«, sagt Stefan entsetzt zu einem Unterscharführer.
»Und die können's auch nicht mehr werden«, erwidert der Mann sarkastisch und entrollt dabei eine Schnapsfahne.
Ohne daß festgestellt wurde, wer noch am Leben ist, geht das Morden weiter. Einer der Henker hebt einen Säugling an den Beinen hoch, schießt ihn mit der Pistole in den Kopf und wirft ihn in die Grube. Junge Frauen bieten sich – um das Leben ihrer Kinder zu retten – den Schergen an und enden im Kugelhagel.
Ein vielleicht dreizehnjähriges, nacktes Mädchen reißt sich los, klammert sich an Stefan, wird mit einem Kolbenstoß weggezerrt, auf die Grube zugetrieben. Die Dunkelhaarige wehrt sich schreiend, bis zuletzt. Stefan sieht in ihre Augen, bis sie brechen. Genickschuß. Der nächste. Die nächste. Das nächste.
Der FJ-Unteroffizier dreht sich um und kotzt sich aus. Dann geht er in die nächste Kate und schreibt eine Meldung an den zuständigen Abschnittskommandeur. Er erhält keine Bestätigung und geht der Sache nach. Er landet bei einem betagten Nachschubmajor.
»Eine schreckliche Geschichte«, sagt der Offizier. »Aber ich gebe Ihnen einen Rat: Ziehen Sie Ihre Meldung zurück.«
»Ich denke nicht dran, Herr Major«, erwidert Stefan.
»Sie werden sich in die Brennesseln setzen, Unteroffizier Hartwig.«
»Das ist mir scheißegal, Herr Major. Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß der Führer solcherlei Übergriffe duldet!«
»Sie haben 'ne Ahnung, Sie Einfaltspinsel«, versetzt der Reservist. »Lassen Sie sich nicht aufhalten, wenn Sie ins Verderben rennen wollen, aber tragen Sie dem Hauptsturmführer Ihre Beschwerde gefälligst selber vor.«
Der Chef der Einheit hat seine Befehlsstelle im nächsten Dorf. Hauptsturmführer Schneppke macht einen durchaus jovialen Eindruck, der aber sofort platzt, als er hört, um was es geht. »Wieso sind Sie eigentlich durch die Absperrung gekommen?« fährt er den FJ-Unteroffizier an.
»Da war keine, Hauptsturmführer.«
Schneppke springt hoch, reißt die Türe auf. »Was ist das für eine Sauerei, Hauptscharführer!« brüllt er seinen Schreibstubenbullen zusammen.
»Uns fehlen einfach die Leute.«
»Quatsch! Dann fordern Sie eben mehr an oder streichen Sie die Freizeit! Ich will das nicht mehr erleben.« Der SS-Offizier knallt die Tür
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