Heldensabbat
zu, setzt sich an seinen Schreibtisch.
»Und die meisten dieser Burschen waren auch noch betrunken«, stellt Stefan fest.
»Kunststück«, fährt ihn Schneppke an. »Machen Sie mal diese Drecksarbeit.« Er betrachtet den Beschwerdeführer aus kleinen Augen. »Ihr Soldbuch«, verlangt er dann. Er schlägt es auf. »Ach nee«, sagt er. »Aus Mainbach kommen Sie.« Er lächelt hintergründig. »Na, da wird sich der Sturmbannführer aber freuen.«
Schneppke läßt eine Verbindung zu seinem Vorgesetzten herstellen. »Sturmbannführer«, meldet er, »bei mir beschwert sich gerade ein Unteroffizier über unseren Einsatz, ein Klugscheißer aus Mainbach … Hartwig heißt der Mann«, setzt er hinzu und erhält genau die Antwort, die er erwartet hat. »Gut – wird erledigt, Sturmbannführer.« Er legt auf. »Der Chef will Sie sprechen«, wendet er sich schadenfroh an Stefan. »Sie können ihm Ihre Einwände gleich selbst vortragen.« Er ruft einen SS-Mann. »Schaffen Sie den Mann zum Alten«, sagt er.
Der Befehlsstand liegt in der Nähe, und der Weg dorthin ist mit Holzbohlen ausgelegt. Der FJ-Unteroffizier steigt auf den Soziussitz des Krads. Der Fahrer fährt vorsichtig, das Holz gibt nach, aber der Melder hat Übung und laviert sich geschickt durch.
Der Sturmbannführer erwartet Stefan vor einem niedergebrannten Bauernhaus. »So sieht man sich also wieder, Hartwig«, begrüßt ihn Panofsky, dessen hautiges Gesicht noch mehr Falten aufweist. Lächelnd genießt er die Verblüffung des früheren Fähnleinführers und stapft voraus in die mit Zeltplanen abgedeckte Ruine. »Sind Sie kein Nationalsozialist mehr?« fragt er dann wie beiläufig.
»Natürlich bin ich das noch«, entgegnet der Unteroffizier gereizt.
»Warum sind Sie dann dagegen, daß wir Feinde der Bewegung liquidieren?«
»Feinde der Bewegung«, schnaubt Stefan. »Zivilisten, Frauen –«
»Juden«, erwidert Panofsky.
»Kleine Mädchen, Kinder –«
»Judenkinder sind auch Juden«, versetzt Mainbachs früherer SD-Chef. »Hören Sie gut zu, Unteroffizier Hartwig: Wir erfüllen einen Spezialauftrag des Führers. Geheime Reichssache. Bedauerlicherweise hat es eine Panne bei der Absperrung gegeben. Sie sind dadurch Mitwisser geworden, und ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie jedes absichtliche oder fahrlässige Gerede über die Exekutionen den Kopf kosten wird. Verstanden, Herr?«
»Befehl des Führers?« fragt Stefan mit geschraubter Stimme.
»Ich warne Sie«, erwidert Panofsky. »Und ich hab' heute noch einen langen Arm nach Mainbach.« Er nimmt Stefans Meldung und schlitzt sie durch. »Haun Sie bloß ab, Mann, bevor mich meine Großzügigkeit reut«, verabschiedet ihn der Chef des Vernichtungskommandos. »Sie sind mir ja ein schöner Weichmann geworden.«
Zu Fuß balanciert Stefan über die Bohlen, weil der Kradmelder längst zurückgefahren ist. Er rutscht und fällt in den Schlamm, erhebt sich wieder und merkt gar nicht, daß er ausgeglitten ist. Er ist bestürzt. Er kann immer noch nicht glauben, was er mit eigenen Augen gesehen hat und daß der organisierte Massenmord von ganz oben befohlen worden ist. Erstmals dämmert Stefan ein wenig, warum sein Onkel, der Rechtsanwalt Dr. Wolf Hartwig, die Bewegung so schroff ablehnt.
Der FJ-Unteroffizier ist wieder bei seinen Männern. Er sagt kein Wort. Er spielt auch nicht mehr Karten. Irgendwann wird sich eine Gelegenheit ergeben, an der richtigen Stelle den Panofsky-Exzeß zur Sprache zu bringen.
Endlich läßt der Regen nach. Der Boden wird wieder wegsam. Kurze Zeit später trifft auch der Nachschub für die Fünfunddreißiger ein. Stefan hat es eilig, nach vorne zu kommen. Die Nachschubkutscher müssen jetzt in bewaffneten Konvois fahren. Partisanenüberfälle sind nunmehr beinahe schon die Regel. Allein im Aufmarschgebiet der Heeresgruppe Nord gibt es elf zentral gesteuerte und aus der Luft versorgte Guerillaverbände; in den undurchdringlichen Wäldern beherrscht einer von ihnen ein Gebiet von 100 Kilometern Durchmesser.
Die Partisanen jagen Güterzüge in die Luft, sie geben eine blutige Antwort auf die Gräuel der Einsatzkommandos. Das Schicksal der Nachzügler und Versprengten, die sie greifen, ist entsetzlich: Die Soldaten werden zu Tode gefoltert, gepfählt. Man findet sie mit ausgestochenen Augen, zerquetschten Köpfen und abgeschnittenen Geschlechtsteilen im Mund. Der Sadismus ist weniger Emotion als System: Die Drahtzieher des Hinterhalts wissen, daß der Terror wiederum
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