Heldensabbat
Sprit liegen und warten auf Nachschub, oft nur Stunden, manchmal Tage. Die Ju 52 brummen träge heran, werfen Benzinbehälter und manchmal auch Feldpost ab. Am Anfang klappt es ganz gut. Die russischen ›Ratas‹ haben keine Chance gegen die deutschen Me 109 und FW 190. »Es ist wie Tontaubenschießen«, stellt ein deutsches Jägerass fest. Der Feind ist zunächst weniger der Gegner als die gewaltige Ausdehnung des russischen Raumes. Die Geschwader verlieren sich förmlich am bleischweren Himmel, und je schneller der Blitzkrieg abrollt, desto überdehnter werden die Nachschubwege.
Am 6. Juli fällt Smolensk, am 15. August ist die ganze Ukraine erobert. Drei Tage später ziehen sich die Russen über den Dnjepr zurück. Am 27. geben sie Dnjepropetrowsk auf, am 19. September Kiew. Am gleichen Tag gerät die Kompanie Faber in einen Hinterhalt der russischen Pak. Per Funk befiehlt der Oberleutnant, die Stellung zu überrennen, und setzt sich mit seinem Kampfwagen an die Spitze. Er gerät in ein Minenfeld und bleibt mit zerschossenen Ketten liegen, eine Zielscheibe auf dem Präsentierteller.
Eine russische Granate schießt den Panzer IV in Brand. Den Fahrer hat es erwischt, die anderen drei booten im Feuer sowjetischer Scharfschützen aus. Sie bleiben ein paar Meter neben dem brennenden Wrack liegen – vielleicht ebenfalls tot, sicher aber verwundet.
Oberfeldwebel Schulz, der den zweiten Zug führt, versucht sie zu retten. Er walzt die Pak nieder, dann sind die Infanteristen heran, um die Scharfschützen zu erledigen und die Überlebenden zu bergen. Maier II, den Richtschützen, müssen sie liegenlassen. Er ist, wie der Oberfeldwebel später meldet, »mause«, aber den Munitionsschützen und den Kommandanten versorgen sie notdürftig an Ort und Stelle und schaffen sie dann zum Hauptverbandsplatz zurück.
Der Arzt, der den Oberleutnant Faber als erster versorgt, stellt Splitter im Rücken, einen Einschuß im linken Oberschenkel und einen Streifschuß an der Schläfe fest. »Glück gehabt«, sagt er zu dem Verwundeten. »Das überleben Sie spielend. Sowie Sie transportfähig sind, lass' ich Sie in Richtung Heimat schaffen.«
Am 8. Oktober nehmen die feldgrauen Stoßkeile als Vorbereitung der anlaufenden Offensive gegen Moskau Orel und Brjansk. Zu diesem Zeitpunkt ist der Verwundete in einem Lazarett in Plauen und erhält die Zusage, demnächst nach Mainbach verlegt zu werden. Als sein Primus Stefan Hartwig als Fahnenjunker-Unteroffizier bei den Fünfunddreißigern zur Frontbewährung eintrifft – die Militärbürokratie hatte sich entschlossen, die Panzerminenverletzung als Verwundung an der Front zu werten und ihn vorher für drei Monate auf die Kriegsschule zu schicken –, ist er bereits im Heimatlazarett.
Der Junge landet zunächst bei den Kradschützen der 4. Panzerdivision. Er rechnet, daß er, wenn alles gut verläuft, zu Weihnachten Fähnrich sein und sicher Heimaturlaub erhalten wird. Noch immer brennt Stefan darauf, sich zu bewähren, stolz darauf, als Soldat einer der neunundfünfzig Divisionen anzugehören, die Moskau nehmen sollen. Obwohl sein Weltbild bereits einige handfeste Beulen hinnehmen mußte, ist es für Stefan keine Frage, daß die sowjetische Hauptstadt rasch fallen wird.
Die Feuertaufe liegt hinter ihm, und niemand hat bemerkt, wie Stefan der Arsch bei der ersten Feindberührung auf Grundeis gegangen war. Die verherrlichten Stahlgewitter enttarnen sich als eine Orgie von Blut, Mief und Tod und das Feld der Ehre als ein Schauplatz, der Menschen in Aas verwandelt. Aber es gibt auch bessere Tage, und als besten bewertet der FJ-Unteroffizier Hartwig den 2. Oktober, an dem er das EK II erhält.
Am 8. Juli hatte Hitler bereits seinen Entschluß verkündet, Moskau und Leningrad von der Landkarte zu tilgen. Am 3. Oktober erklärt er bei der Eröffnung des Winterhilfswerks, daß die Sowjetunion geschlagen sei und sich ›nie mehr erheben werde‹. Selbst ein oppositioneller Skeptiker wie Generaloberst Franz Halder stellte in diesem Stadium des Krieges fest, daß »der Feldzug gegen Rußland innerhalb von vierzehn Tagen gewonnen werden könnte.«
Der »ritterliche« Krieg ist eine Erfindung seiner Propagandisten. Trotz gelegentlicher menschlicher Aufhellungen ist jeder Krieg brutal, gemein und grausam, aber in Rußland ufert die Unmenschlichkeit auf beiden Seiten in die letzte Ungeheuerlichkeit aus: Stalin läßt seine geschlagenen Generale zum Tode verurteilen und hinrichten. Hitler fordert im
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