Heldensabbat
frischen Backen, ist – so hat Frau Hartwig inzwischen erfahren – eine Angestellte der Partei. Auf Anstiftung ihrer Freundin Katja Grell hat sie, Wochen nach dem Kaffeeklatsch, Anzeige erstattet. »Mein Bruder ist im Kampf gefallen«, hatte die Grell gegiftet, »dann soll dieser schwarze Hund auch verrecken.«
Das Heeresreservelazarett im zweckentfremdeten Priesterseminar, wo Oberleutnant Hans Faber auf einer Offiziersstube seine Verwundung ausheilt, ist eine Oase der Ruhe. Am Morgen wird der Rekonvaleszent noch einmal geröntgt und anschließend vom Oberstabsarzt, einem uniformtragenden Zivilisten, gründlich untersucht. »Tja«, sagt der Mediziner, »Sie haben sich da eine recht dumme Verwundung zugezogen. Verstehen Sie? Sie ist schlimm genug, daß man Sie Ihnen vermutlich zeitlebens anmerken wird, aber nicht so schlimm, daß man Sie nicht wieder an die Front schicken wird.« Er nickt grimmig. »Wenn es Ihnen damit nicht so eilig sein sollte, kann ich Ihnen nur raten, noch mehr zu humpeln, als Sie es ohnedies schon tun.«
»Danke gehorsamst, Herr Oberstabsarzt«, erwidert der Oberleutnant.
»Wir werden Sie in der nächsten Woche nach Hause entlassen und weiterhin ambulant behandeln. Das wird sich noch ein paar Wochen hinziehen, aber dann –«, setzt er hinzu und verläßt die Krankenstube, ohne den Satz zu vollenden.
Der Reserveoffizier weiß, daß er spätestens in zwei Monaten wieder zu seinem Regiment hinaus muß. Sein Freund Claus Benz, trotz seines verkürzten Beins inzwischen ebenfalls von der Einberufung bedroht, weil er sich durch eine Bemerkung mißliebig gemacht hat, ist bestens über die Frontlage informiert und hat Faber mit schlimmen Nachrichten versorgt: Bald wird sich entscheidend auswirken, daß sich Großdeutschland nunmehr auch mit den USA im Krieg befindet. Der US-Präsident hat den Wählern versprochen, täglich ein Schiff zu bauen, in diesem Jahr noch 60.000 Kriegsflugzeuge zu produzieren und im nächsten bereits 125.000. Schon im ersten Kriegsjahr rollen 45.000 US-Panzer von den Fertigungsbändern. Die Kampfstärke der US Army wurde auf 7,5 Millionen GIs erhöht. Jeden Tag wenden die Yankees für die Rüstung 130 Millionen Dollar auf. Im Rahmen der Leih- und Pachtlieferungen beginnen sie über die Nordlandroute die Sowjets großzügig mit Kriegsmaterial zu versorgen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis viermotorige Feindbomber die Heimat in einen Kriegsschauplatz verwandeln und nunmehr Deutschland »coventrisieren«.
Der frühere Ordinarius Dr. Hans Faber hatte das alles kommen sehen und versucht, seinen Schülern die Augen zu öffnen. Nach Braubach und Rolf Bertram sind inzwischen zwei weitere Abiturienten der 8 c gefallen, rasch ausgebildete Soldaten mit dem Reifezeugnis. Auf dem Gang zum Direktorat des Gymnasiums hängen jetzt schon über vierzig Fotos ehemaliger Schüler, die nie mehr zurückkommen werden.
Alle Deutschen müssen den Wahnsinn des Kriegs ausbaden, die schuldigen wie die unschuldigen. Es erscheint Hans Faber nur logisch, daß auch er bald wieder an der Front sein wird. Hänschen, sein Sohn, ist jetzt vierzehn Monate alt und kräht schon »Papa« und »Mama«, und Sibylle gelingt es nicht, die Angst zu verbergen, daß ihr Mann vielleicht ihrem Bruder Rolf in den Heldentod folgt. Obwohl die Todesanzeigen in der ›Mainbacher Zeitung‹ von der Gauleitung dosiert werden, damit nicht zu viele auf einmal den Volksgenossen die Siegeszuversicht nehmen, ist jetzt schon schwarz im Straßenbild die zweithäufigste Farbe nach braun.
Unerwartet kommt Sibylle am späten Nachmittag. Sie wirkt abgehetzt, verstört, und Hans sieht auf den ersten Blick, daß etwas Schlimmes geschehen sein muß.
Da der Rekonvaleszent die Krankenstube mit einem jungen Leutnant teilt, fängt er Sibylle mit den Augen ab. »Komm«, begrüßt er sie. »Gehen wir in den Garten. Ich soll mich ja möglichst viel bewegen.« Er geht voraus. »Übrigens, ich werde in der nächsten Woche nach Hause entlassen«, sagt er auf dem Weg nach unten.
»Schon?« fragt Sibylle erschrocken.
»Aber ich stehe dann noch lange in ambulanter Behandlung«, tröstet er sie.
Sibylle ist ein wenig voller geworden, fraulicher und dabei hübsch wie ein junges Mädchen geblieben. Sie ist eine ausgezeichnete Mutter, eine hervorragende Juniorchefin, und sie versucht mit viel Einfühlungsvermögen, trotz eigenen Kummers, ihrer Mutter über Rolfs Tod hinwegzuhelfen.
»Stell dir vor, Hans«, sagt Sibylle, noch immer ein wenig
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