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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Soldat Dr. Wolfgang Hartwig, ein schwerer Diabetiker, leidet an Herz-Kreislauf-Beschwerden sowie an nervösen Erschöpfungszuständen, begleitet von ständiger Schlaflosigkeit. Die Wehrmacht schickte den Jurrien als »untauglich« nach Hause, und Dr. Hartwig ist wieder Zivilist.
    In seinem Wartezimmer sitzen die Mißliebigen der Partei wie immer dicht gedrängt. Zwar erzwang der Hausarzt noch einen vierzehntägigen Erholungsurlaub im Allgäu, aber seit zweieinhalb Monaten steht der Rechtsanwalt wieder in den Sielen und dadurch in der Frontlinie des braunen Alltags, abgemagert, erschöpft, ein Patriot, dessen einzige Hoffnung der Zusammenbruch an der Front ist – auf Kosten Deutschlands, für das er früher in einem Freikorps gekämpft hat.
    Um 7 Uhr schrillt bei den Hartwigs die Klingel an der Wohnungstür. Adele, die kleine Tochter des Rechtsanwalts, öffnet und steht zwei Zivilisten gegenüber.
    »Vater schläft noch«, sagt das Kind.
    »Wir müssen ihn mitnehmen«, erwidert der Größere, Kriminalobersekretär Glühlein.
    Die springlebendige Dackelhündin der Hartwigs verbellt die Besucher wie Wilderer.
    »Sei still, Diana«, versucht der Anwalt das Tier zu beruhigen.
    »Heil Hitler, Herr Doktor«, begrüßt ihn der Kriminalobersekretär im Gestapodienst.
    »Guten Morgen, meine Herren«, erwidert der Jurist. »Was gibt's?«
    »Wir müssen Sie leider festnehmen«, wiederholt Glühlein.
    »Warum?«
    »Weiß ich nicht«, behauptet der Beamte.
    »Sie auch nicht, Herr Kobler?« wendet sich der Anwalt an den zweiten Beamten, den er kennt.
    »Wir handeln im Auftrag von Kriminaloberinspektor Bruckmann«, antwortet Kobler. »Von ihm erfahren Sie sicher Näheres, Herr Doktor.«
    Sie waren zu Fuß gekommen und nehmen den Verhafteten jetzt in die Mitte. Adele sieht dem Vater verstört nach. Diana nutzt es und setzt hinterher, schwanzwedelnd und bellend vor Freude über die Extra-Promenade.
    So gehen sie ein paar hundert Meter bis zur Herzog-Max-Straße.
    »Ich muß den Vierbeiner zurückbringen«, sagt Dr. Hartwig, und die zögernden Gestapo-Helfer kehren mit ihm um. Der Hausherr liefert den enttäuschten Dackel ab. »Sag Mutti, daß ich bei der Polizei bin«, bittet der Anwalt Adele. »Ich komm' so bald wie möglich wieder zurück.«
    Die Kriminalbeamten liefern den Juristen in dem idyllischen Gefängnis im Sand-Viertel der Altstadt ab, das den pittoresken Fischerhäusern gegenüberliegt. Hier ist der Anwalt ständig ein- und ausgegangen; er kennt die Aufseher beim Namen, und sie grüßen ihn freundlich, respektvoll, auch wenn er auf einmal ein Untersuchungsgefangener ist. Bruckmann, der Drahtzieher, hält sich im Hintergrund. Er schickt Glühlein, einen gebürtigen Mainbacher, den er sich von der SD-Außenstelle Nürnberg ausgeliehen hat, ins Gefecht.
    Um 7 Uhr 30 beginnt die Vernehmung mit lapidaren Fragen zur Person. Dann kommt der Vernehmende auf den Weihnachtsurlaub im Allgäu. »Kirchbach«, sagt er. »Da waren Sie in Ferien –«
    »– und zwar vom 22. Dezember bis zum 8. Januar 1942«, unterbricht ihn der Jurist. »In der Privatpension Pregler. Mit meiner Frau und meiner Tochter.«
    »Außer Ihnen wohnten auch noch andere Gäste in der Pension?«
    »Natürlich, aber wie blieben zurückgezogen. Ich war – und bin eigentlich noch – körperlich ziemlich am Ende.«
    Der Kripobeamte mit der kurzen Haarbürste und dem Bärtchen auf der Oberlippe nickt. »Aber beim gemeinsamen Essen sind Sie doch mit anderen Urlaubern in Berührung gekommen.«
    »Ja, selbstverständlich.«
    »Und gelegentlich auch an der nachmittäglichen Kaffeetafel?«
    »Auch das.«
    »Zum Beispiel am Dreikönigstag. Erinnern Sie sich? Das Wetter war besonders schön, und Sie haben es an der langen Tafel vor dem Haus genossen.«
    Dr. Hartwig nickt. Auf einem Nebentisch liegt ein hoher Berg Akten, jahrelang gesammelt. Zeitungsartikel aus der Kampfzeit, Zwischenfälle, Redensarten, Unterlassungen, Witze. Einen Moment lang spürt der Jurist törichte Erleichterung, daß man ihn nicht gleich in einem KZ verschwinden läßt, sondern ihn offensichtlich der ordentlichen Justiz überantworten will. Ein wenig vom Aberglauben seiner Studentenzeit, von den idealistischen Jahren, ist ihm doch geblieben, aber aus seiner Praxis weiß Dr. Hartwig längst, daß die ordentliche Justiz das Feigenblatt ist, mit dem Hitler seine Mordpraxis oberflächlich tarnt: Justitia als braune Hure, die Hakenkreuzbinde über den Augen.
    »Und hier, Herr Hartwig, haben Sie vor

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