Heldensabbat
schon mein Stellvertreter. Überleg dir's. Ich mach' dir ein Angebot: Du kannst den Mannschaftsstand gleich überspringen und wirst Offizier unter mir.«
»Kann ich nicht gleich in den BDM eintreten?« fragt Tarzan.
Der Fähnleinführer wird vom Zorn überwältigt, kommt aber nicht dazu, ihn in seine Fäuste umzusetzen, weil in diesem Moment ein offener DKW-Meisterklasse mit HJ-Stander auf die Schule zufährt. Stefan hetzt dem Wagen entgegen, baut Männchen, meldet stramm: »Fähnlein zwo beim Wunderburg-Einsatz. Keine besonderen Vorkommnisse, Bannführer.«
»Hab' ich bei dir auch nicht anders erwartet, Stefan«, erwidert Martin Greifer und reicht dem Fähnleinführer die Hand. »Dufte Bienen im Quartier, was?«
»Jawohl, Bannführer.«
»Aber nur zum Anschauen«, droht der Bannführer grinsend. »Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann, Stefan.« Der hauptamtliche HJ-Führer entblößt seine Raucherzähne. »Hab' heut nacht mit dem Gebietsführer einen gezwitschert. Reiß dich am Riemen, Junge, und du wirst der jüngste Stammführer Deutschlands sein.« Der Dreißigjährige, dessen linkes Auge verdickt ist, so daß er immer etwas schläfrig wirkt, sieht zu Tarzan hin, der die Szene interessiert verfolgt.
»Wer ist denn der?« fragt Greifer.
»Peter Steinbeil, ein Mitschüler.«
»Rassisch guter Typ«, lobt der Bannführer. »Nordisch – fälischer Gesichtsschnitt.«
»Er gehört leider nicht zu uns«, erklärt Stefan. »Sein Vater war vor 1933 –«
»Ach, dieser Scheißliberale«, unterbricht ihn der Bannführer. »Der ist doch längst tot –«
Stefan nickt.
»Na ja«, stellt Martin Greifer fest, »wenigstens war er kein Kommunist und kein Sozi. Und von dir erwarte ich, daß du diesen Burschen schleunigst für die HJ keilst«, setzt er so laut hinzu, daß es der Zaungast hören muß.
Der hauptamtliche HJ-Führer winkt Stefan zu und startet zur nächsten Schule.
»Hast du's gehört, Tarzan?« ruft Stefan dem Mitschüler zu. »Du bist begehrt wie die Jungfrau, die der Drache bewacht.«
»Waidmannsheil, Drachentöter«, blödelt Tarzan, nickt dem Fähnleinführer zu und schwingt sich in seinen Fahrradsattel.
Das Hitlerbild auf der Stirnseite des Klassenzimmers ist dreimal so groß wie das Kreuz dahinter. Der Führer hat den Mantelkragen hochgeschlagen. Seine Augen starren in eine unbekannte Ferne. Das Kruzifix hängt an einem rostigen Nagel, hängt locker. Dr. Schütz gab Anweisung, das Symbol des Christentums aus den deutschen Schulräumen zu entfernen.
Die Pause ist zu Ende. Eben hat es geklingelt. Dr. Faber betritt die 7 c, aus der nach den Sommerferien die 8 c geworden ist. Der Ordinarius ist groß und blond und hat helle Augen. Noch auf dem Weg zum Katheder sagt er: »Heil Hitler!«
Diesen Gruß bringt er jeweils auf dem Weg von der Türe zum Pult hinter sich. Er macht nie eine Szene daraus, postiert sich nicht im Mittelgang zwischen den Bänken. Er sagt die beiden Worte immer so, als ob er in Eile wäre, nebensächlich und fast tonlos. Und während er dabei den Arm ausstreckt, ohne einen Blick auf die Klasse zu werfen, sieht es aus, als griffe Dr. Faber nach dem Pult, um sich daran den letzten Schritt hinaufzuziehen. Eigentlich hätte der junge Erzieher die Klasse an Dr. Fleißner abtreten müssen, aber der kränkelnde Altphilologe muß wahrscheinlich vorzeitig pensioniert werden, und so blieb der Assessor vorläufig der Ordinarius der Oberstufenklasse.
Dr. Faber ist ein knappes halbes Jahr am Gymnasium. Er unterrichtet die gemischte Oberklasse in Deutsch, Geschichte und Erdkunde. Die wenigen Monate haben genügt, daß er zu einer Art Idol seiner Schüler wurde, ohne etwas dazuzutun. Er sieht aus wie das Titelbild eines SS-Leitheftes; aber niemand hat ihn je in Uniform gesehen. Er hat eine hohe Stirne, die fast ständig von kleinen, nachdenklichen Falten durchfurcht wird.
Dr. Faber ist ein außergewöhnlicher Lehrer. Er zieht Lächeln dem Gelächter vor, spricht lieber ein kühles Wort, als eine Schimpfkanonade abzulassen. Sein Lob klingt zurückhaltend. Und trotzdem haben die Schüler dabei die Empfindung, es werde ihnen ein Orden verliehen. Er droht nicht mit Verweisen, nicht mit Arreststrafen. Er bestellt die Eltern nicht. Er schreibt keine Beschwerdebriefe, die von den »Erziehungsberechtigten« mit Nachporto auszulösen sind. Er führt kein Klassenbuch. Er zieht keine Schüler aus den Bänken und stellt sie bloß. All die Gewohnheiten und Gewöhnlichkeiten einer
Weitere Kostenlose Bücher