Heldensabbat
es nicht viel klüger von Teil und seinen Eidgenossen gewesen, den Geßlerschen Hut auf der Stange einfach zu grüßen? Was meinen Sie, Hartwig?« fragt Dr. Faber mit harmlosem Gesicht.
»Ja, natürlich«, stottert Stefan. Dann begreift er, verbessert sich. »Nein«, antwortet er mit langsam fester werdender Stimme. »Nein«, setzt er noch einmal hinzu. »Das wäre nicht klüger gewesen.«
»Warum?« fragt Dr. Faber mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Er lächelt. »Sie meinen wohl, von Schillers Standpunkt aus? Weil er sonst das Drama nicht hätte schreiben können? Deshalb brauchte er wohl einen Hut und eine Handvoll Toren, oder?«
Warum fragt er mich so merkwürdig? überlegt Stefan Hartwig. Und dann versucht er endgültig, mit dem verschwommenen Eindruck seiner Sinne fertig zu werden, konzentriert sich, ein kühles, überlegenes Lächeln im Gesicht.
»Nein«, sagt er knapp. »Der Hut ist ein Symbol. Und es ist zu verstehen, daß die freien Schweizer nie das Knie vor einem Symbol der Knechtschaft beugen wollten.« Er holt Luft, setzt dann neu an: »Wilhelm Teil ist die Verkörperung eines großen Charakters, der keine Konzessionen macht. Schon gar nicht, wenn er einen Hut, ein Stück Stoff grüßen soll. Er wird dadurch zum Vorbild für –«
»Stück Stoff haben Sie gesagt, Hartwig?« fragt Dr. Faber leise.
»Ja«, antwortet Stefan verwirrt.
Der Assessor sieht ihn lange an. »Und wie wollten Sie eben enden, Hartwig? Wollten Sie sagen, daß Teil das Vorbild sei für die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit?«
»Ja«, bestätigt Stefan. Als er das Wort Sehnsucht hört, streift er Claudia mit einem Blick. Aber in dieser Sekunde weiß er, was Dr. Faber meint.
Die Klasse merkt nicht, daß er auf die Szene anspielt, die sich beim BDM-Aufmarsch zum Domberg ereignet hatte, als ein alter Mann wegen Mißachtung der Fahne von Hartwig zusammengestaucht worden war. Alle sehen sie zu Stefan hin, der noch immer bis in die Ohrläppchen glüht. Auch Claudia. Was ist das für eine Geheimsprache, denken sie, in der sich nur Dr. Faber und Hartwig verstehen?
So ist das also, überlegt Stefan verbissen, daher der flüchtige Gruß. Du bist ein Gegner der Bewegung! Du spielst hier nur den feinen Mann. Du bist ein Feind Deutschlands. Und diese Feinde gilt es auszurotten, zu schlagen, wo man sie trifft, auf allen Straßen, in allen Häusern, mit allen Mitteln, mit aller Härte!
Stefan Hartwig, der Fähnleinführer, ballt die Fäuste auf seinem Pult, bis die Knöchel weiß schimmern. So sitzt er, verkrampft, verzerrt. Und zuerst hört er gar nicht, als ihm Claudia zuflüstert: »Ist gut, Stefan, ich komme.«
Er nickt und sagt nichts, denn Tarzan treibt sich verdächtig oft in der Nähe Claudias herum, und er muß aufpassen, daß sein Rivale nicht auch noch zu seinem Nebenbuhler wird, bevor er überhaupt mit dem Mädchen geht.
»Dr. Faber hat dich ja bildschön hereingelegt«, spottet Peter. »Und die vollgefressenen Neidgenossen waren doch politisch gar nicht so schlecht.«
»Wer nichts weiß, hält besser die Klappe«, erwidert Stefan. »Schiller, der das Drama geschrieben hat, hat nachweisbar die Schweiz nie betreten. Und jetzt bessere ich dein Wissen noch einmal auf, Tarzan«, fährt er fort. »Der schwäbische Dichterfürst hatte die ganze Tell-Sage aus dem Finnischen geklaut.«
»Entlehnt«, korrigiert ihn der Rivale.
Am Nachmittag hat Dr. Faber keinen Unterricht. Er macht es sich zu Hause bequem. Er wohnt in einem Block am Rande der Stadt, mit Gartenanteil. Sein Vater gehörte zu denen, die bei Langemarck nicht gesungen hatten, sondern gefallen waren. Seine Mutter brachte ihn mit ihrer schmalen Rente durch das Gymnasium. Als er an der Universität studierte, ist sie gestorben.
Dr. Hans Faber ist allein. Aber deswegen beileibe kein Einzelgänger. Seine unbekümmerte, geradlinige Art schafft ihm leicht Freunde. Und er hat das Talent, Freunde wie Feinde auf Distanz zu halten. Sein ganzes Gehalt steckt er in Bücher. Nur eine einzige Marotte bewahrt ihn davor, sich noch mehr anzuschaffen: Er geht immer sorgfältig gekleidet. Den Schnitt seiner Anzüge liefert ein erstklassiger Schneider. Die Muster sucht er selbst aus. Schnitt und Muster passen zueinander.
Dr. Faber liegt auf seiner Couch, pfeift, liest, raucht und hört Radiomusik zugleich, als es klingelt. Er geht ohne Eile an die Tür. Der Egerländer Marsch dröhnt in den Raum.
Oberinspektor Breuer steht vor ihm. Ein freundlicher, unaufdringlicher Mann von
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