Heldensabbat
er es? Stefan läuft durchs Haus wie der keusche Josef auf der Flucht vor Frau Potiphar. Immer wieder begegnet er Lydias aufreizendem Lachen. Er wittert ihre Nähe; sie ist verwirrend und unheimlich. Die kesse, dunkelhaarige Stettinerin ist ihm irgendwie überlegen, und das wurmt Stefan, denn er ist immer der Erste, ein Primus in jeder Lage. Er versucht, Lydia aus seinem Bewußtsein zu verdrängen, aber es nutzt nichts, immer wieder macht sie sich an ihn heran und versucht sich an seinem Auftrag zu vergehen.
Schließlich haut sich der Fähnleinführer auf seine Matte, wälzt sich unruhig hin und her, als schüttle er so die Belästigung ab. Endlich schläft er ein. Diese Gelegenheit nutzt Lydia, um sich in seine Wachstube zu schleichen. Stefan hört ihren Atem; er sieht ihre Augen. Er will sie wegschieben, aber er hat flüssiges Blei in den Armen. Noch versucht er zu denken, doch etwas ist in ihm, das jeden Gedanken erdrückt, jeden Vorsatz aufhebt, den Damm bricht.
Jetzt vergisst der Junge alles: Er hat nur noch den Wunsch, es Lydia heimzuzahlen, sie zu nehmen, zu unterwerfen, in sie einzudringen. Das Blut rauscht in seinen Ohren. Er greift brutal nach ihr. Sie wehrt sich ein wenig, nicht um ihn abzuschütteln, sondern um ihn anzufeuern. Völlig unnötig. Stefan stürmt vorwärts, schießt durch das Ziel.
Als er sich entlädt, fährt er benommen von seinem Strohsack hoch, sieht, daß er allein ist und daß sein Körper seinen Verstand hintergangen hat. Lächerlich, sagt sich der Fähnleinführer, ganz natürlich, eine Pollution während des Schlafes. Das Wort kommt aus dem Lateinischen. Mit der Präzision eines Lexikons rekapituliert Stefan: häufig von sexuellen Träumen begleiteter, unwillkürlicher nächtlicher Samenerguss, eine physiologische Erscheinung ohne Krankheitsbild.
Er springt auf, hetzt in den Waschraum, duscht und schrubbt sich, eiskalt, so lange, bis er friert und bis er sich auch die letzte Wallung ausgetrieben hat. Er bleibt gleich auf den Beinen, kontrolliert wieder seine Postenkette, ohne sich einzugestehen, daß es nur Beschäftigungstherapie ist, weil er trotz aller Lexikonweisheit vermeint, sein Körper habe vegetativ das NS-Reinheitsgebot besudelt.
Im Haus werden die Mädchen geweckt. Es kommt wieder zum Stau vor den Waschräumen. Stefan passiert sie blicklos, keine merkt ihm an, daß er Spießruten läuft. In seiner improvisierten Wachstube erreicht den Fähnleinführer die Meldung, daß sich ein verdächtiger Radfahrer in der Nähe des Gebäudes herumtreibt.
»Personalien feststellen«, ruft er in das Telefon. Dann flitzt er nach unten und findet Rolf Bertram im Gespräch mit Peter Steinbeil. »Der Verdächtige ist identifiziert«, sagt der Jungzugführer und deutet auf Tarzan.
»Deswegen hast du auf Wache nichts zu quasseln«, fährt ihn Stefan an und wendet sich an den unerwünschten Besuch. »Was hast du hier zu suchen?« fährt er ihn an.
»Das Fähnlein der sieben Aufrechten«, spottet der Mitschüler. »Eunuchen«, setzt er hinzu.
»Soll ich dir eine Abreibung verpassen?« versetzt der Fähnleinführer.
»Das hast du doch oft genug probiert, um zu wissen, daß ich ein ebenbürtiger Gegner bin.«
»Ich könnte ein Rollkommando auf dich hetzen.«
»Das wirst du nicht tun«, entgegnet der Con-Primus. »Das ist nicht deine Art, dazu bist du zu fair.«
»Willst du dich bei mir einschmeicheln, Tarzan?« fragt Stefan verblüfft und auch ein wenig stolz. »Warum bist du eigentlich nicht bei deinen vollgefressenen Neidgenossen?«
»Das hat Gründe«, brummelt die Sportskanone. »Wir fahren in diesem Jahr erst in den Weihnachtsferien.«
Sie gehen um das Gebäude herum. Im Schulhof tauchen die ersten Maiden auf, und Tarzan bleibt stehen, macht runde Augen.
»Die könntest du dir ganz aus der Nähe ansehen«, lockt Stefan. »Wenn du zu uns gehören würdest.«
»Führ mich nicht in Versuchung«, spottet der Junge aus der Dientzenhoferstraße.
»Prächtige Maiden«, fährt Stefan fort, als dürfe er sie offerieren.
Sein Begleiter bleibt stehen und lacht. »Weißt du, was Maiden auf englisch heißt?« Er gibt gleich selbst die Antwort: »Jungfräuliche Pferde, Vierbeiner, die noch in keinem Rennen gelaufen sind.«
»Von mir aus, Shakespeare –«
»Wahlfach«, erklärt Tarzan. »Englisch würde ich dir auch empfehlen.«
»Tritt in mein Fähnlein ein, und ich garantiere dir, daß du ruckzuck Jungzugführer wirst – und wenn ich den Dicken feuern muß – und sehr bald auch
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