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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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des Bannführers. Stefan liefert ihm zwar von Fall zu Fall Meldungen, aber sie sind nichtssagend und dem Wortlaut nach abgeschwächt. Eine Geschichtsinterpretation, die keineswegs mit dem Inhalt der Lehrbücher übereinstimmt, aber auch nicht widerlegbar ist.
    Der Auftraggeber drückte bereits wiederholt seinen Unmut darüber aus und bemängelte zudem, daß sein Fähnleinführer bei der Ausforschung seines Onkels Dr. Wolf Hartwig, der der NS-Rechtsprechung soeben diese schlimme Blamage zugefügt hat, nicht weiterkommt.
    »Tut mir leid. Da ist einfach nichts zu machen, Bannführer«, erwidert Stefan. »Wenn ich auftauche, hält mein Onkel den Mund. Er weiß ja schließlich, wie ich zur Bewegung stehe.«
    »Dein feiner Onkel schon«, entgegnet Greifer. »Aber mir kommen allmählich Zweifel, wenn du dich weiterhin so zimperlich benimmst.«
    Anfang März ist Tarzan noch immer nicht zurück, und in Mainbach kursieren erste Gerüchte, er und seine Mutter beabsichtigen, für immer in der Schweiz zu bleiben. Dr. Faber schwebt in der Schule in der Schußlinie und privat im toten Winkel. Sibylle ist zur Zeit mit ihrem Vater auf Dienstreise, und seine Begegnungen mit ihr sind noch immer heimlich. Zumindest ihr Bruder Rolf müßte längst Verdacht geschöpft haben. Vielleicht wird auch schon getuschelt. An einem Ort wie Mainbach wissen die anderen, zu Recht oder zu Unrecht, meistens mehr als die Betroffenen. Es gleicht einem kleinen Wunder, daß der alte Bertram noch nichts von der Liebesbeziehung seiner Tochter erfahren hat.
    Am 15. März 1939 bricht Hitler wieder einmal sein Ehrenwort, das er nach dem Münchner Abkommen feierlich der Welt gegeben hatte: »Ich habe jetzt keine territorialen Ansprüche mehr.« Der böhmische Gefreite läßt seine Truppen in Böhmen einmarschieren. Das vorläufige Ende der ›Rest-Tschechei‹ ist gekommen. Die westlichen Alliierten, die ihre Bundesgenossen schon durch das Abkommen von München verraten hatten, ließen Hitler auch diesen Vertragsbruch durchgehen, sind aber mit ihrer selbstmörderischen Langmut am Ende.
    Wieder rasseln Panzer und brummen Flugzeuge, wieder ist die Stadt in ein Meer kraftlos wehender, blutigroter Hakenkreuzfahnen getaucht. Und wieder kapituliert der Sprachschatz des Anstaltsleiters Dr. Schütz vor der Größe des Führers.
    Die Stadt faßt Volksgasmasken an diesem Tag. Bei der NSV. Die braune Volkswohlfahrt riecht nach Gummi und Chemie. Frauen, Kinder und Männer stehen in langer Reihe und stülpen sich die lächerlichen Gummiapparate über die Gesichter. Dr. Faber kräuselt seine Lippen. Der Karneval der Herrenrasse, denkt er, ein Volk mit Astralköpfen und Blechfiltern.
    Der Assessor probiert seine Gasmaske flüchtig, läßt dann rasch das Volkswohl hinter sich. Auf der Straße tummeln sich die Gliederungen der Partei wie die Würmer nach einem Frühlingsregen. Die Kolonnen marschieren im Kreis. Ganz vorne das Jungvolk.
    »Nach Ostland geht unser Ritt!« singen die Pimpfe mit hellen Stimmen.
    Dicht hinter ihnen folgt der SA-Reitersturm. Klapprige Pferde, auf ihnen Veteranen der Kavallerie, die die Größe der Zeit noch einmal mit lahmem Schwung in den Sattel hob. Es sieht aus, als ob der Ostritt spätestens am Stadtrand zusammenbrechen würde. Braune Hosen auf gelben Sätteln, runde Mützen auf klobigen Köpfen. Und die Pferde nicken bei jedem Schritt den Passanten kraftlos und stumm zu wie die Mitläufer ihrem Führer.
    Dr. Hans Faber ist in seiner Wohnung und korrigiert Stefan Hartwigs Aufsatz: in der Form brillant wie immer, im Inhalt so, wie das braune Regime es wünscht. Es bringt ihn in die Klemme. Wie soll er bei der Benotung entscheiden? Soll er die Form über den Inhalt oder den Inhalt über die Form stellen? Soll er selbst zum Duckmäuser werden oder aus der Deckung heraustreten?
    Das Telefon unterbricht seine Überlegungen.
    »Hans?« fragt Sibylle leise.
    »Du?« antwortet er verdutzt. »Du bist in Mainbach, Sibylle?«
    »Ja«, erwidert das Mädchen, lacht hell. »Soeben angekommen. Magst du zum Kaffee kommen?«
    »Wohin?« fragt Faber.
    »Du weißt doch wohl, wo ich wohne.«
    »Zu dir?« Seine Stimme kippt vor Überraschung.
    »Natürlich«, erläutert Sibylle das ganz und gar Unerwartete. Sie läßt den Assessor ein paar Sekunden zappeln. »Vater ist zu einer DAF-Tagung gefahren. Rolf hat HJ-Dienst.«
    »Und deine Mutter?«
    Diesmal kommt Sibylles Lachen ganz aus der Nähe. »Meine Mutter«, wiederholt sie, »freut sich, dich kennenzulernen.

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