Heldensabbat
hundertmal mehr verpflichtet als Drohung, Bloßstellung und Schulausschluß. Dr. Faber braucht nicht erst im Gang zu warten. Stefan wird ihm gleich folgen.
»Weißt du«, sagt Claudia zu Stefan mit verträumtem Gesicht. »Das ist ein ganz feiner Kerl.«
»Es sieht so aus«, entgegnet der Primus benommen. Er steht auf. »Gute Nacht«, sagt er leise. Er gibt Claudia nicht einmal die Hand, er sieht sie nicht mehr an. Er verspürt ein heißes Gefühl für sie. Aber etwas an dieser Empfindung ist anders geworden.
Unten singen die Klassenkameraden.
»Gute Nacht«, wiederholt Stefan noch einmal an der Türe.
Sibylle wollte ihren Freund mit der Kaffee-Einladung überraschen, aber vorläufig fällt sie aus. In der Weihnachtszeit zeigt sich der Fabrikant Bertram ungewöhnlich familiär, als wolle er Gerüchten über seine marode Ehe gewaltsam entgegentreten; er bleibt auch nach den Feiertagen noch in Mainbach. Danach muß ihn die Tochter als Sekretärin nach München begleiten, anschließend ist sie voll mit den Vorbereitungen zu ihrem Abschlußexamen beschäftigt. Zwangsläufig ist sie mehr in Erlangen als in Mainbach, und so leben die Gefühle der Liebenden in dieser Zeit vorwiegend von Briefen und Telefonanrufen.
Bei Schulbeginn nach dem Ferienende fehlt Peter Steinbeil. Dem Ordinarius der 8 c liegt ein ärztliches Attest aus der Schweiz vor, daß eine Diphtheriewelle in Luzern wegen der hohen Ansteckungsgefahr die Isolierung des selbst nicht erkrankten Bazillenträgers Peter Steinbeil erforderlich mache. Dr. Faber reicht die ärztliche Bescheinigung an das Direktorat weiter, und der Primaner wird als krank geführt. Einige Mitschüler nehmen an, daß es Tarzan durch einen pfiffigen Trick gelungen ist, seine Weihnachtsferien zu verlängern und sich für den ausgefallenen Sommerurlaub schadlos zu halten, aber keiner vermutet, daß der Mitschüler überhaupt nicht mehr zurückkehren könnte.
Anfang Februar unterzieht sich Claus Benz in Mainbachs Städtischem Krankenhaus einer harmlosen Nachoperation. Er laboriert noch immer an einem als Folge eines Wehrdienstunfalls verkürzten Bein. Roberts Chef, Professor Lobershoff, nimmt den Eingriff vor. Der Chirurg hat wie sein Haus – die zweitmodernste Klinik, die nach Hamburg in Deutschland eingerichtet wurde – einen hervorragenden Ruf.
Bei ihrem Besuch berichtet der Patient seinen Studienfreunden, daß sein neuer Chef, der braune Fanatiker, den formalen Beitritt des Versicherungsjuristen als nicht ausreichendes Treuebekenntnis zu Adolf Hitler bewertet hat. Es ist zu Differenzen gekommen, in deren Folge der lustlose Mitläufer eine Chance wahrnehmen wird, bei Mainbachs Wehrbezirkskommando als ›Sachbearbeiter Heer‹ – im Hinblick auf den immer näher rückenden Krieg – einen garantiert krisenfesten Arbeitsplatz zu besetzen. Das bietet Claus auch noch die Möglichkeit, mit seiner Familie in das Haus seiner kränkelnden Mutter einzuziehen und sich ihrer dabei besser anzunehmen.
Anfang Februar gewinnt Dr. Wolf Hartwig einen Strafprozess mit einem sensationellen Freispruch mangels an Beweisen: Er hat vier der Devisenschiebung angeklagte Patres eines benachbarten Benediktinerklosters herausgepaukt und ist dabei ein paar Mal in öffentlicher Verhandlung heftig an den Ersten Staatsanwalt Rindsfell geraten, der das Verfahren als Schauprozess aufziehen wollte. Der Ankläger geht in die Berufung, zwei der drei Richter, die an dem Urteil beteiligt waren, werden unmittelbar danach in andere Ressorts versetzt, der dritte vorzeitig in Pension geschickt.
Rindsfell wendet sich mit einer neuerlichen Intervention an den SD-Chef Panofsky, aber weder der Hauptsturmführer noch sein Satellit Bruckmann können den ›großen Knaller‹ herbeizaubern. Für eine Einweisung in ein Konzentrationslager würde die Tätigkeit des verhaßten Rechtsanwalts ausreichen, nicht jedoch für einen formaljuristisch abgedeckten Frontalangriff im Gerichtssaal, wie nicht zuletzt die Pleite mit den Benediktinern noch einmal deutlich aufzeigte.
Seit dem Skiausflug lebt Fähnleinführer Stefan Hartwig in der Bredouille: Er bewundert die natürliche Menschlichkeit seines Ordinarius und erfaßt seine politischen Anspielungen im Unterricht. Der Junge, der sich bewähren will, möchte immer konsequent, immer hundertprozentig sein und stellt auf einmal fest, daß er einen Mann gleichzeitig haßt und bewundert, schätzt und verachtet. Vielleicht ist es noch kein Verrat am Führer, sicher aber an dem Auftrag
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