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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Motor setzt aus, springt nicht mehr an. Der NSKK-Mann beugt sich mit krebsrotem Kopf über die Haube, zuckt die Schultern. Die Motoren lassen sich nicht gleichschalten.
    Nun staut sich alles in der engen Gasse. Das NS-Fliegerkorps, das einmal im Jahr, am Volksflugtag, Flugzeuge aus der Nähe sieht, kommt aus dem Marschrhythmus.
    »Ganze Abteilung halt!« brüllt dahinter der Chef der NS-Kriegsopferversorgung. Alle Marschierer haben zwei Beine und zwei Arme. Die Krüppel passen nicht in das Stadtbild. Die Stauung lockert sich. Die lebenden Kriegsopfer des ersten Weltkrieges nehmen den Tritt wieder auf.
    Trommeln hinten, Trompeten vorne. Stockung am Maxplatz, wo der Aufmarsch endet. Eine Rednertribüne. Lautsprecher gellen über den Platz: »Das Wort hat der Kreisleiter.«
    Und dann grölt, von mehreren Lautsprechern übertragen, bis in den letzten Winkel der Stadt die heisere Stimme des Mannes, dem das Eisendrehen zu beschwerlich wurde.
    Die Volksgasmaske fällt Dr. Faber aus der Hand. Er bückt sich lustlos, um sie aufzuheben. Ein Schüler kommt an ihm vorbei, grüßt. Der Assessor erwidert den Gruß zerstreut.
    Es ist Stefan Hartwig, der sich verspätet hat. Auf gleicher Höhe mit Dr. Faber bleibt er unschlüssig stehen, kommt langsam auf ihn zu. Sein Gesicht ist blaß. Sein Mund zuckt. »Herr Doktor«, fragt er leise, »darf ich Sie einen Moment sprechen?«
    »Müssen Sie denn nicht –«, Dr. Faber deutet mit der Hand auf den Marktplatz, »dorthin?«
    »Ja, gleich.« Stefan stockt.
    »Was gibt's?« ermuntert ihn Dr. Faber.
    Der Junge senkt den Kopf. Sein Kinn sinkt fast auf die Führerschnur an seiner Uniform. »Herr Doktor«, nimmt Stefan ein zweites Mal Anlauf. »Ich muß Ihnen etwas gestehen.«
    Der Ordinarius nickt.
    »Ich war vom Bannführer beauftragt, Sie ans Messer zu liefern. Verstehen Sie? Unterricht mitstenographieren und so.«
    »Und?«
    »Ich hab's auch eine Zeitlang getan«, erwidert Stefan verdrossen über sich selbst. »Und dann habe ich bei der HJ erklärt, daß sich Ihre Ansichten gebessert hätten.«
    »So«, erwidert Faber mit offenem Spott. »Haben Sie das?«
    »Es war eine Lüge. Das weiß ich genau«, versetzt Stefan barsch. »Ihnen zuliebe«, setzt er dann gepresst hinzu, »weil Sie in Fleckl so anständig waren.«
    »Also ein glattes Geschäft«, antwortet Faber ruhig, »Anstand gegen Anstand.«
    Stefan hat jetzt den Blick offen auf dem Gesicht seines Klassenleiters. »Ich muß Sie warnen, Herr Doktor«, versetzt er fahrig. »Ich weiß nicht, ob mir der Bannführer das glaubt. Er hat sicher jetzt auch noch andere beauftragt, Ihnen auf die Finger zu sehen.«
    »Andere?« unterbricht ihn Dr. Faber. »Auf die Finger?«
    Stefan zögert wieder. Und dann, ein paar Sekunden später, wird er die letzten Hemmungen los. »Ich habe eine Frage«, sagt er. »Was haben Sie gegen die Bewegung, Herr Dr. Faber?«
    Der Ordinarius zuckt die Schultern. »Das kann ich Ihnen nicht erklären, Stefan«, entgegnet er, »nicht so schnell, nicht an diesem Ort, nicht an diesem Tag.« Der Assessor bedenkt nicht, daß er sich mit diesem Satz seinem Primus in die Hand gibt. Er betrachtet den Siebzehnjährigen überrascht, nachdenklich, wehmütig. »Stefan«, sagt er dann leise, »Sie sind ein kluger Junge. Ich habe nur einen Rat für Sie: Augen auf, Ohren auf, den Verstand benutzen – das wäre alles.«
    In dieser Sekunde steigert sich das Gebrüll aus dem Lautsprecher und ist jetzt deutlich zu hören.
    »Ausradieren!« belfert der Kreisleiter. »Vernichten! Die ganze Bande: die Juden, die Freimaurer und dann diese Dunkelmänner in der schwarzen Kutte. Ja, die auch!«
    »Ich muß gehen«, sagt Stefan gepresst.
    Dr. Faber nickt. Das Netz, das ihn umgibt, schnürt ihm die Brust zusammen. Wie lange noch? denkt er. Und dann fällt ihm ein, daß dieses Netz ein paar Löcher hat: Sibylle, ihren Bruder Rolf, selbst Stefan Hartwig.
    Die Lehrersitzung am nächsten Tag dauert stundenlang. Der Anstaltsleiter Dr. Schütz findet kein Ende.
    Benthin, der Zeichenlehrer, reibt einen Apfel am Ärmel seines Pullovers. Er stößt seinen Nachbarn Dr. Faber an. »Deutsches Obst«, flüstert er. »Ich kaufe nur beim deutschen Bauern.«
    Bei der deutschen Obstfrau, verbessert ihn der Assessor in Gedanken.
    »So«, sagt Dr. Schütz in diesem Moment, »die Damen und Herren können gehen. Nur einige bitte ich, hier zu bleiben.« Er nimmt einen Zettel und verliest die Namen: Studienrat Färber, Dr.Rixner, Dr. Faber, Fräulein Dr. Mühren,

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