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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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ihn Dr. Faber ohne Schärfe in der Stimme auf. »Wir rauchen noch eine Zigarette miteinander.«
    Du Sadist, denkt der Junge gereizt, du willst auch noch sehen, wie ich in der Falle zapple und winsle. Es genügt dir nicht, daß du mich erledigt hast, ausgerechnet du – ausgerechnet mich!
    Der Pädagoge klappt sein Zigarettenetui auf, lacht halblaut. »Aber Claudia«, sagt er dann, »wollen Sie sich eigentlich durch die Bettdecke hindurch mit mir unterhalten?«
    Ihr Gesicht kommt langsam zum Vorschein, rot erglüht wie Klatschmohn. Mit den Zähnen nagt das Mädchen an der Unterlippe. Dr. Faber wendet seinen Blick wieder seinem Primus zu, der mit zitternden Fingern hastig raucht.
    »Also«, beginnt der Assessor im Plauderton. »Es tut mir leid, daß ich euch stören mußte. Aber ich wollte euch vor einer Torheit bewahren. Ihr seid keine Kinder mehr, und deshalb möchte ich mit euch ein Gespräch unter Erwachsenen führen.« Er macht eine Pause, stellt dabei fest, daß er die beiden Siebzehnjährigen um den Atem gebracht hat. »Es ist euch doch klar, daß ihr dabei wart, eine Unbesonnenheit zu begehen. Oder?«
    »Möglich«, antwortet Stefan trotzig.
    »Was meinen Sie, Claudia?«
    »Ich habe es nicht gewollt«, entgegnet sie. »Es ist einfach so – so über uns gekommen.«
    Dr. Faber nickt, schnippt die Asche von seiner Zigarette. Auch eingefressene Erziehungsgrundsätze fallen zu Boden, Grundsätze, die in dieser Zeit zu einem deutschen Gymnasium gehören wie der Grünspan auf den Kupferdächern wilhelminischer Turmfassaden. Eine antiquierte Pädagogik drückt sich notorisch um die Nöte, Träume und Wünsche der Heranwachsenden herum und degradiert dabei die Natur zum Problem. Alles ist tabu, ist Verbot, ist Sünde. Das System stammt noch von den Urururvätern, und die Rauschebärte, die es handhaben, sind dabei, ganze Generationen zu Duckmäusern, Leisetretern und Heuchlern zu erziehen.
    »Wissen Sie, Stefan«, sagt Dr. Faber ernst, »es geht nicht so sehr um Claudia, um Sie oder um mich. Nicht einmal darum, daß Ferienfahrten dieser Art mit Sicherheit verboten würden, wenn es einen Skandal gäbe – nun ja, ihr wisst schon –«
    Die beiden Siebzehnjährigen starren ihren Klassenleiter verwirrt an. Stefan empfindet durch das Braunhemd hindurch, das man ihm über die Jungenseele gezogen hat, einen Hauch der menschlichen Qualität Dr. Fabers.
    »Es wäre schade«, fährt der Ordinarius fort. »Nichts wie schade. Ich weiß seit langem, daß ihr euch mögt, und ich finde das auch wunderbar und ganz in Ordnung. Ihr seid reife Menschen. Es ist nichts Unrechtes dabei, wenn ihr Sehnsucht aufeinander habt und dieses Verlangen nach Erfüllung drängt. Aber bewußt, Claudia, und nicht nach so und so vielen Grogs, Stefan, nicht bei der erstbesten Gelegenheit, sondern erst dann, wenn ihr auch vom Verstand her der Meinung sein könnt, daß es richtig ist.«
    Claudias Augen tasten sich unter halbgeschlossenen Lidern zu dem Mann, der sie überrumpelt hat, durch.
    Faber gibt den Blick unbefangen zurück. »Sie, Stefan, hätten heute Claudia aus einem Paradies von Träumen gerissen, in dem sie noch leben kann und leben soll. Und morgen wäre alles anders geworden zwischen euch. Etwas, das schön und offen und frei sein sollte, hättet ihr nun heimlich in euren Schulranzen packen und vor aller Welt verstecken müssen.« Er drückt seine Zigarette aus. »Und darum wäre es doch schade, nicht?«
    Der Pädagoge gibt Stefan und Claudia die Hand. Die Finger des Mädchens sind trocken und kühl, die des Jungen schwitzig und heiß.
    »Und jetzt endgültig: gute Nacht«, sagt Dr. Faber leichthin. »So lange wollte ich gar nicht stören.«
    Als er an der Türe ist, räuspert sich Stefan. »Herr Doktor«, fragt er hastig, »machen Sie nun der Schule Meldung darüber?«
    Der Assessor verhält, wendet sich langsam um. »Wie gut Sie mich kennen, Stefan Hartwig«, antwortet er. Er kommt noch einmal zurück. »Wir drei versprechen uns etwas in diesem Moment«, sagt er. »Wir wollen nie mehr darüber reden. Nie mehr und zu niemandem.«
    »Ja«, erwidert Stefan ungläubig.
    »Ja«, versetzt Claudia mit glänzenden Augen.
    Dr. Faber nickt. »Übrigens noch etwas, Stefan, man macht keine Meldung – das ist die miserable Sprache unserer Zeit. Man meldet höchstens.« Er unterbricht sich lächelnd. »Ich meine, wenn man meldet.«
    Er will Stefan die Demütigung ersparen, ihn jetzt aus Claudias Zimmer mitzunehmen. Er weiß, daß seine Methode

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