Heldensabbat
Margeriten sind ihre Lieblingsblumen.«
Bevor Hans Faber noch etwas erwidern kann, hat das Mädchen eingehängt.
Der Assessor steht benommen da, hält den Hörer in der Hand, begreift nichts und versteht dann. Leicht besorgt verläßt er die Wohnung, geht in langen Schritten durch die Stadt, kauft Blumen, klingelt, ruft seine Erregung zur Ordnung.
Sibylle lächelt befreit, gelöst, wie selten in letzter Zeit. Sie trägt ein marineblaues, eng auf den Körper geschneidertes Sommerkleid ohne Ärmel. Die Haare glänzen hell, jung und blond auf dem schneeweißen Kragen. Ihr Gesicht weist die Freude aus. Ihre Hände strecken sich ihm entgegen. Eine Sekunde lehnt sie sich in der Diele an ihn, küßt ihn warm und zärtlich. Dann gleitet ihre Hand in seinen Arm. Sie zieht ihn mit sich, in das Wohnzimmer, zur Blumenecke, zur Mutter.
Mathilde Bertram bekämpft die kurze Verlegenheit mit Kaffee. »Milch?« fragt sie, »Zucker?«, während ihr besorgter Blick Fabers Gesicht abtastet. Natürliches Mißtrauen und spontanes Wohlwollen ringen miteinander. Im Grunde ist es ein von vornherein entschiedener Kampf. Denn die Frau des Industriellen kennt Sibylle, und Sibylle kennt Dr. Faber.
Sie sitzen beieinander. Im Grunde wird es ein Kaffeeklatsch, wie ihn Faber nicht ausstehen könnte, wenn es nicht um das Mädchen ginge. Die drei sagen nicht, was sie bewegt, und es bewegt sie nicht, was sie sagen.
»Wie macht sich Rolf in der Schule?« fragt Frau Bertram.
»Ich bin zufrieden mit ihm, gnädige Frau.«
»Glauben Sie, daß er das Abitur schafft?«
»Bestimmt – und sogar ziemlich mühelos.«
Zwischendurch verfängt sich Fabers Blick immer wieder in Sibylles Gesicht. Eine heiße, jähe Welle pulst durch seinen Körper. Er möchte aufspringen, Sibylle in die Arme reißen, mit der Mutter im Zimmer herumwirbeln. Seine Worte bleiben ruhig, seine Augen trunken.
Er weiß, daß Mutter Bertram eine Erklärung von ihm erwartet, und findet den Einstieg nicht. Zwei Minuten gibt er sich noch, verlängert noch einmal.
»Erlauben Sie eine persönliche Frage, Herr Dr. Faber«, kommt ihm die Gastgeberin zuvor. »Wie stehen Sie zu meiner Tochter?«
»Ich liebe sie«, antwortet er. »Sibylle und ich – wir stehen uns sehr nahe.«
»Und warum kommen Sie dann nicht zu uns und halten um ihre Hand an, Herr Dr. Faber?«
»Weil ich fürchte, bei Ihrem Mann nach einem Zusammenstoß, den ich mit ihm hatte, keine Chance zu haben.«
»Da liegen Sie leider richtig«, entgegnet Mathilde Bertram. »Ich aber«, setzt sie mit einer Energie, die man ihr nicht zutrauen würde, hinzu, »ich bin die eine Hälfte der Eltern, und ich hab' nichts gegen Sie einzuwenden. Allerdings kann ich Ihnen nicht sagen, wie Sie die Zustimmung der anderen fünfzig Prozent erreichen können.« Die schlichte Frau sieht ihm in die Augen, wohlwollend, doch auch bekümmert. »Ich weiß aber, daß diese Versteckspielerei nicht mehr lange gut gehen kann.«
»Sibylle und ich«, erklärt der Besucher mit belegter Stimme, spricht sich aber rasch frei, »wir haben uns sozusagen unter der Hand einen Termin gesetzt: Wir wollten, daß sie erst noch ihr Abschlußexamen macht.« Er lächelt ein wenig hilflos. »Dann wollte ich unverzüglich das Versäumte nachholen und, im Falle einer Abfuhr, mich mit Sibylle auch gegen den Willen ihres Vaters offiziell verloben.«
»Tun Sie das, Herr Dr. Faber«, entgegnet Mathilde Bertram. »Unterschätzen Sie aber die Dickköpfigkeit meines Mannes nicht.« Sie lächelt, als sie fortfährt: »Setzen Sie jedoch meine Möglichkeiten nicht als zu gering an.« Sie reicht ihm die Hand.
Faber küsst sie, nicht nur andeutungsweise, wie es die Etikette vorschreibt.
Er geht beschwingt. Er geht nicht, er schwebt auf einem Hochseil, und er braucht kein Netz. Er läuft blicklos durch die Stadt, hört die Trommelwirbel nicht und hastet fast in eine Marschkolonne hinein. Sie bringt ihn wieder zu sich, zwingt ihn zur Gegenwart zurück. Selbst die Hausfrauen tragen heute eine Art Uniform: große Handtaschen. Damit gehen sie von Geschäft zu Geschäft, um hilflos, hastig und sinnlos des Führers Weitblick zu ergänzen, um ein paar Pfund Fett, etwas Wurst und Schokolade zu hamstern, soweit das Geld reicht.
Jetzt biegt das NSKK in die Adolf-Hitler-Straße ein, ist auf Höhe des Cafés »Reichskanzler«. Der Einheitsführer im arisierten Mercedes, den er jahrelang als Chauffeur einer jüdischen Hopfenfirma polierte. Und dahinter seine Korpsgenossen im Braunhemd. Ein
Weitere Kostenlose Bücher